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Kolumne: Das Jump'n'Run als prototypisches Videospiel

09. 11. 2009 | Kategorie: Artikel

Vor einiger Zeit stolperte ich über einen Artikel auf dem großen amerikanisch-japanischen Videospiel-Newsblog "Kotaku". Ich weiß, ich weiß, "Kotaku" ist die Bild-Zeitung der Videospiele, aber hin und wieder haben die dort drüben eine interessante Geschichte. Wie die folgende.

In dem Artikel ging es darum, dass der Autor viel Zeit mit seinem Großvater verbringt. Dieser fragte seinen Enkel - wie man im Alltag eben so spricht - ganz natürlicher Weise nach dessen Arbeit: Im Fall des Redakteurs drehte sich diese nun mal um Videospiele. Obwohl der Großvater ein äußerst intelligenter und neugieriger Mann war und sich z. B. sehr für die wirtschaftliche Komponente der Branche interessierte, ergab sich beim Reden über dieses Thema eine Schwierigkeit: Der ältere Mann hatte noch nie in seinem Leben ein Videospiel gesehen. Also überlegte der junge Mann, welches Spiel er seinem Großvater einmal zeigen sollte - und gab diese Frage an die Leser weiter. Das brachte mich zum Nachdenken, denn dies ist wirklich eine gute Frage: Welches Spiel sollte man jemandem zeigen, der noch nie in seinem Leben ein Videospiel gesehen hat?

In den Kommentaren zum Artikel tauchten sofort viele Spielevorschläge auf: BioShock, Assassin's Creed, Shadow Of The Colossus, Geometry Wars, Portal, nahezu jeder Hit der letzten paar Jahre Videospielgeschichte wurde genannt. Einige Leser schlugen vor, systematisch vorzugehen und verschiedene Apekte von Videospielen wie Grafik etc. an unterschiedlichen Beispielen zu veranschaulichen. All dies erscheint mir viel zu kompliziert.

Screenshot: Super Mario GalaxyDas Problem an den genannten Beispielen ist vor allem, dass sie in ihrem Darstellungsmodus größtenteils viel zu nah an dem des Kinos liegen. Einzig das abstrakte  Geometry Wars bildet hierzu eine Ausnahme. Mal ehrlich: Wie sollte ein ungeschultes Auge eindeutige Unterschiede zwischen einem Film und dem häufig wegen seiner epischen Momente und filmischen Kameraeinstellungen gelobten Shadow Of The Colossus erkennen? Auch Assassin's Creed ist grafisch ziemlich dicht dran am ehemals vielbeschworenen Fotorealismus und ließe sich im Vorbeigehen unter Umständen ebenfalls leicht für einen Film halten. Um jemandem die Essenz von Videospielen näherzubringen, müsste meiner Meinung nach etwas viel Einfacheres her. Eine weitere Schwierigkeit, insbesondere bei vielen älteren Menschen, ist die sogenannte Motion Sickness - ein Schwindelgefühl, das u. a. beim Betrachten von bewegten 3D-Bilden enstehen kann. Um seinen Großeltern ein Spiel zu zeigen, sollte man also vielleicht eher ein zweidimensionales wählen.

Natürlich gibt es auch heute noch Videospiele mit sehr simplen Spielprinzipien und -mechaniken – ihre Wurzeln liegen jedoch meist schon einige Jahre in der Vergangenheit. Das Genre der Jump'n'Run-Spiele erscheint mir ein geeignetes Beispiel zu sein. Das Jump'n'Run – oder auch "Plattform-Spiel" – hat sehr einfache Spielregeln und eine lange Tradition. Auch wenn Space Panic (1980, Universal/ADP) nach Chris Crawford das erste Plattform-Spiel war, so war Donkey Kong von 1981 sicherlich verwantwortlich für den großen Erfolg und die Beliebtheit dieser Art von Spielen – schließlich war es nicht zuletzt der Ursprung der Super Mario-Serie.

Screenshot: Death Jr. 2: Root of EvilUnd bereits an diesem frühen Beispiel lassen sich fast alle späteren Konventionen des Genres zeigen: Ohne die alte Debatte zwischen Ludologie und Narratologie lostreten zu wollen, finden wir in Donkey Kong eine rudimentäre Narration: Der Gorilla Donkey Kong kidnappt Pauline, die Freundin des Protagonisten Jumpman, und dieser will sie nun selbstverständlich befreien. Das entscheidende Moment hierbei ist jedoch, dass in dieser Ausgangssituation eine Herausforderung vorliegt, eine Herausforderung für den Spieler: Seine Aufgabe ist es nun, Jumpman zu steuern und ihm zum Sieg über Donkey Kong und somit das Spiel zu verhelfen. Um dies zu erreichen, kann er Jumpman in zwei Dimensionen bewegen: Jumpman kann nach links und rechts laufen, Leitern erklimmen und vor allem: springen. Mit diesen Möglichkeiten muss Jumpman verschiedene Hindernisse überwinden, um zum Ziel zu gelangen. Diese Hindernisse erstrecken sich über vier verschiedene Level, die Gliederung eines Spiels in Abschnitte mit ansteigendem Schwierigkeitsgrad liegt hier also auch bereits vor.

Man kann sehr leicht erkennen, dass fast alle diese Prinzipien nicht nur für Jump'n'Run-Spiele, sondern für den Großteil aller Videospiele gültig sind - daher ist das Genre so ein gutes Beispiel: Videospiele haben eine Eingabemöglichkeit durch den Spieler (z. B. durch ein Gamepad), was sie von anderen visuellen Medien unterscheidet. Die Eingaben des Spielers werden von einem Avatar (in in diesem Fall Jumpman), also einer Repräsentation des Spielers im Spiel vollzogen. Spiele haben Regeln,  insbesondere sogenannte Zielregeln, die über Sieg (Pauline retten) und Niederlage (Game Over) entscheiden und sie stellen eine Herausforderung für den Spieler dar, die meist von einer simplen Story hinterlegt ist.

Ein simples und frühes Jump'n'Run-Spiel vereint also bereits die meisten Merkmale, die Videospiele ausmachen. Sicherlich ist dies einer der Gründe dafür, dass Super Mario eine solche Ikone werden konnte - gleichsam ein Stellvertreter für sein Genre, aber auch für Videospiele ingesamt, ihre Kultur und was sie ausmacht.

Spiel mit den Konventionen - aus 2D mach 3D in FEZ

Die Zugänglichkeit der Grundformel des Genres der Plattformspiele hat möglicherweise auch dazu geführt, dass moderne Indiegames, die sich an der Jump'n'Run-Formel abarbeiten und diese verändern und erweitern, derzeit so beliebt sind. Die Idee liegt auf der Hand: Man nehme ein Grundprinzip, das sehr einfach ist und das praktisch jeder Gamer auf der Welt kennt und beherrscht, und füge eine neuen Twist hinzu: Braid, Trine und das zuletzt ausgeprochen erfolgreiche Shadow Complex sind gute Beispiele für dieses Phänomen. Auch die vielversprechenden Spiele FEZ und Limbo sind offenkundig interessante Abwandlungen dieses althergebrachten Schemas.

Mein Fazit: Wenn eure Großeltern fragen, was Ihr den lieben langen Tag so macht, zeigt Ihnen Super Mario World (Donkey Kong wäre für die meisten von uns technisch etwas aufwendiger). Das ist schön bunt, leicht zu verstehen - und ein Prototyp des Videospiels. Andere Vorschläge?

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