Kolumne: Das liebe Geld und die Videospiele
Es ist ja schon länger kein Geheimnis mehr: Videospiele sind in der Gesellschaft angekommen. Nach Ewigkeiten des Nischendaseins erhält das interaktive Medium endlich seine Legitimation als Freizeitgestaltungsform und damit auch Einzug ins normalbürgerliche Wohnzimmer.
Nicht mehr nur die meist jugendlichen Nerds, Freaks und Geeks vertreiben sich in dunklen Kellergewölben, schlecht ernährt und eigenschuldig sozial unterversorgt ihre Zeit vor PC oder Spielekonsole, nun hüpfen auch Kinder und Erwachsene – im Idealfall gemeinsam – auf Balance-Boards herum oder machen sich bei geselligen Karaoke-Abenden vor dem heimischen Fernseher zum Affen. Die Tage sind vorbei, in denen man mit verächtlichen Blicken verständnisloser Älteren rechnen musste, wenn man sich im Elektronikmarkt in der schmuddeligen Spieleabteilung herumtrieb. Videospiele sind massentauglich geworden.
Natürlich ist das einerseits ein Grund zur Freude, andererseits hat diese Entwicklung auch ihre Schattenseiten, die mir vor allem in den letzten Wochen immer wieder so richtig vor Augen geführt wurden. Denn klar, nun da das Bewusstsein für wirtschaftlichen Erfolg von Videospielen erwacht ist, versucht auch der moderne Kapitalist seine Scheibe vom Gewinn abzubekommen – wie so oft ohne Rücksicht auf Verluste. Dies bedeutete vor allem am Anfang des 21. Jahrhunderts, dass sich Firmen wie Electronic Arts, Microsoft oder Activision ständig neu formierten und sich kleine aber innovative Spieleschmieden einverleibten. Auf dem Weg zu den heutigen Riesenkonzernen wurden solch geniale Studios wie Bullfrog (Populus, Dungeon Keeper), Westwood (Command & Conquer) oder Origin (Ultima-Serie, Wing Commander) von Electronic Arts geschluckt, aufgelöst und 2007 in das neue EA-Label-Schema integriert (EA, EA Games, EA Partners, etc.). Auch Microsoft kaufte eifrig ein; unter anderem Bungie (Halo-Serie, mittlerweile wieder teilweise unabhängig), die Ensemble Studios (Age of Empires-Serie, seit Frühjahr 2009 geschlossen) oder auch der Origin-Nachfolger Digital Anvil (Starlancer, Freelancer). Ein Megadeal war dann die 2007 angekündigte Fusion von Vivendi und Activision – seit 2008 nennt sich der nunmehr größte Konzern für Unterhaltungssoftware Activision Blizzard.
Und so wurden aus vielen kleinen Unternehmen, die ihre Spiele durch die großen Publisher lediglich veröffentlichen ließen, große Konzerne, die intern entwickelten und selbst publizierten. Zugegeben, es gibt auch heute noch eine ziemlich große Anzahl an Spielekonzernen – wie Ubisoft, Sony, Nintendo, Take Two, Square Enix – doch scheint man davon abgewichen zu sein, interessante und vor allem neue Ideen kleiner Studios zu unterstützen. Der Grund? Das Geld natürlich. Warum das Risiko eingehen und für viel Geld ein Spiel finanzieren, dessen Verkaufserfolg ungewiss scheint, wenn man jedes Jahr eine Neuauflage einer bekannten Marke wie geschnitten Brot verkaufen kann? Das Resultat: alljährlich sehen wir uns mit den EA-Sports und Need for Speed Teilen konfrontiert, entdecken jedes Jahr ein neues Call of Duty oder Guitar Hero im Regal und werden in regelmäßigen Abständen mit Lara Croft und Super Mario gefüttert. Abwechslung, wo bist du?
Neben all den großen Spielen mit Zahlen im Titel gibt es aber auch eine Menge an Unterhaltungssoftware, die spurlos an uns vorbei zieht – meist eben die mit den etwas anderen Ideen, jene, die nicht immer in zeitgemäßer Grafik präsentiert werden. Und genau hier stellt sich mir die Frage: Was wollen wir spielen? Warum beschweren, wenn man immer das bekommt, was man auch tatsächlich kauft? Wieso kaufen wir nur Spiele von den großen Firmen, wenn die von den kleinen vielleicht sogar besser sind? Im Grunde genommen ist es doch wie mit allen anderen Waren auch: Man wird solange damit bombardiert, bis das Interesse spürbar nachlässt – in Zeitungen, dem Fernsehen oder dem Internet. Wem kann man da den Vorwurf an der jetzigen Situation machen, daran, dass das Angebot an Videospielen so groß, die Vielfalt aber gefühlt so niedrig wie noch nie ist?
Ähnlich verhält es sich doch auch mit Musik und Filmen: hat ein Independent-Künstler kommerziellen Erfolg, ist eine Fortsetzung quasi unumgänglich. In den häufigsten Fällen dann natürlich mit deutlich höherem Budget und den höheren Erwartungen, höheren Gewinn einzufahren. Und meistens geht diese schonungslos durchkalkulierte Rechnung eben auch auf – wir Konsumenten ergötzen uns geradezu an dem Geld, das in eine innovationslose Fortsetzung, ein Remake oder einen Trittbrettfahrer gesteckt wurde, drücken unseres den Studios ja geradezu wohlwollend in die Hände. Von inhaltslosen, dennoch unglaublich teuren Hollywood-Blockbustern, die jedes Jahr ihren Weg auf die große Leinwand finden, sind Videospiele wohl nicht mehr weit entfernt.
Den Beweis dafür liefert das im letzten Jahr erschienene GTA IV, dessen Budget von 100 Millionen US-Dollar langsam aber sicher klar macht, dass Videospiele und Filme mittlerweile ähnlich rentablen Profit erwirtschaften können. Prognosen wie die von Activision, die dem neuesten Call of Duty-Ableger Modern Warfare 2 eine halbe Milliarde US-Dollar Ausbeute allein in der ersten Woche zutrauen, zeugen im ersten Moment von gottgleichem Größenwahn. Doch weiß man nun nach dieser vergangenen Woche: die Prognose wurde sogar übertroffen. Und das obwohl Activision in den letzten Wochen und Monaten ernsthaft Sympathiepunkte aufs Spiel setzte – des lieben Geldes wegen.
Nicht nur der Kommentar des aktuellen Geschäftsführers Robert Kotick, Spieleentwickler dürften keinen Spaß bei der Arbeit haben, müssten stattdessen hart und stets wirtschaftsorientiert arbeiten, sondern auch Activisions Preispolitik provozierte die Gemüter. Denn wenn es nach Kotick ginge, sollten Verbraucher für bessere Qualität auch mehr zahlen – Modern Warfare 2 wäre solch ein Qualitätstitel, logisch. Eine der neuen Ideen, die zu mehr Geld führen sollen, ist beispielsweise ein kostenpflichtiger Multiplayer-Modus eines eventuellen Call of Duty-Spinoffs. Nun, ich persönlich fasse mir an den Kopf, wenn der größte Spielekonzern der Welt mit dem erfolgreichsten Spiele-Launch – und Spieleverkauf in spe – aller Zeiten laut über verbraucherunfreundliche Profitmaximierung nachdenkt, und dabei auch noch Verständnis vom Kunden erwartet. Dass Modern Warfare 2 nicht wie angekündigt ungekürzt in Deutschland erschien, schlägt sich demzufolge nicht nur in sinkender Glaubwürdigkeit der Chefetage, sondern auch den für europäische Verhältnisse niedrigen Verkaufszahlen hierzulande nieder.
Von Manipulation ist die Rede – zu Recht. Denn bis zur letzten Minute wurde nicht ausgesprochen, dass die Schere angesetzt wurde. Doch auch andere Konzerne wissen inzwischen, wie sie durch fragwürdige Methoden ihre finanzielle Sicherheit gewährleisten können. Ebenfalls in der letzten Woche wurden Worte über einen Skandal laut, nach denen Ubisoft Assassin‘s Creed 2 nur an Redaktionen zu Exklusivtests aushändigte, die auch eine „sehr gute“ Bewertung versprachen. Dass dies nicht nur die Pressefreiheit ordentlich beschneidet, sondern auch an hemmungsloser Täuschung des Kunden grenzt, scheint in Anbetracht der potentiell hohen Verkaufszahlen nebensächlich zu sein. Auch unschön: Vor knapp anderthalb Jahren beschwerte sich Atari über zu schlechte Urteile zum Alone in the Dark-Reboot, und verklagte die Betreiber des Online-Spielemagazins 4Players.de auf 50.000 Euro Strafe. Wegen einem ungerechtfertigt negativen und schon vor Release veröffentlichten Test wurden in diesem Kontext u.a. auch die Webportale Gamereactor.no und Gamer.nl der Wertung auf Basis einer illegal erworbenen Version bezichtigt.
Realität ist leider auch die Tatsache, Tests zu ausgewählten Spielen bewusst erst dann frei zu geben, wenn sie auch käuflich erwerbbar sind. Der anfängliche Kaufrausch lässt sich schwer verhindern, die negative Meinung ist in vielen Fällen dann ungewarnt die eigene. Die sonst so vertrauensvollen Informationsquellen – Zeitschriften und Internet – entpuppen sich dann im Nachhinein als vermeintlich werbetreue Komplizen der Spieleindustrie. Doch nicht so ganz astreine Qualität, sei es inhaltlich oder technisch, kann dadurch häufig noch bis zum unumgänglichen und ausschlaggebenden Verkaufsstart unsichtbar gehalten werden.
Und als wäre das alles nicht schon genug, kam da im Jahr 2007 auch noch die leidliche Kopierschutz-Debatte ins Spiel. Das, was 2004 mit Half-Life 2 am PC mit Valves Plattform „Steam“ begann, gebar vor zwei Jahren den – man muss es auf den Punkt bringen – verhassten Kopierschutz SecuRom. Besonders von Electronic Arts offensichtlich als ultimative Lösung für alle Raubkopierprobleme angesehen, entwickelte sich die modernste Digital-Rights-Management-Maßnahme als Ablehnungsgrund für viele potentielle Käufer – rein spekulativ waren viele von ihnen aufgrund dessen einer illegalen Download-Version wohl nicht ganz abgeneigt. SecuRom verlangte nicht nur zwingend einen Internetzugang, sondern beschränkte auch in den anfänglichen Varianten die verfügbaren Installationen; eine Unmöglichkeit, die den Konsumenten in der freien Nutzung des legal erworbenen Produkts klar einschränkte. Mangelndes Vertrauen in gewillte Käufer schreckt eben jene durch solcherlei Vorgehen ab.
Dass sich Spieler nicht jeden Schabernack gefallen lassen, davon können wohl vor allem der seit mehr als einem Jahr von einer Rezession heimgesuchte Publisher Electronic Arts ein Lied singen. Aktuelles Beispiel dafür ist unter anderem die Ankündigung, zum März nächsten Jahres satte 1.500 Stellen zu kürzen, um weitere 100 Millionen US-Dollar einzusparen. Beinahe das gesamte Entwicklerteam, das bis ins Frühjahr Command & Conquer 4 entwickelt, soll anschließend entlassen werden – tolle Aussichten! Aber auch Ubisoft musste in der ersten Hälfte des laufenden Geschäftsjahres derbe Verluste einstecken – ganze 80 Millionen Dollar Verlust gegenüber dem Vorjahreszeitraum.
Nun, was aus diesem jungen Geflecht aus Kapitalismus und Entertainment tatsächlich werden wird, ist freilich nicht absehbar. Vielleicht schafft sich Electronic Arts ja tatsächlich irgendwann noch die so begehrten Rockstar Studios an, bevor sie von Microsoft aufgekauft werden, die wiederum nur noch als Tochterfirma des frisch ins Spielegeschäft eingetretenen Megaunternehmens Google auftreten – man will ja klein anfangen. Sony hat sich nach dem Flop der PSPgo mithilfe der einverleibten Erzkonkurrenz Nintendo auf auf Cartridges erscheinende Spiele und kabelgebundene Controller mit nur zwei Buttons eingefahren, in der Hoffnung, Retro würde wieder zum Kauf animieren. Activision spezialisiert sich nur noch auf Online-Spiele und verdient an kostenpflichtigen Multiplayer-Sessions von Triangle Hero, Tony Hawks Wheelchairing, Call of Duty - Postmortal Warfare und, dank den neuerdings für einen Dumpingpreis erworbenen Ubisoft, Assassin‘s Creed VI (Untertitel noch unbekannt) so viel Geld, dass sie endlich über die Einführung einer Kulturkonsumsteuer nachdenken können. Ach ja, warum spielen wir eigentlich nochmal Videospiele? Tobias Czullay