Testbericht: Brütal Legend
Vom Roadie zum Rockstar: Brütal Legend will vor allem Freunde harter Gitarrenklänge ansprechen, der Mainstream muss draußen bleiben. Aber kann der Titel außer durch eine exotische Thematik und Hauptdarsteller Jack Black auch spielerisch überzeugen? Zieht eure Kutte über und findet es heraus.
Designer-Legende Tim Schafer (Monkey Island-Serie, Vollgas) ist ein Metalfan. Bereits in Vollgas - Full Throttle wurde offensichtlich, dass der Mann eine Schwäche für die harten Töne und die raue Heavy Metal-Kultur hat. Gleiches gilt für den Schauspieler und Komiker Jack Black: Mit seiner Band Tenacious D und Filmen wie School of Rock hat er längst Farbe bekannt. Wenn sich diese beiden nun für ein Spiel zusammentun, darf man also getrost davon ausgehen, dass das Endprodukt die musikalische Subkultur treffend widerspiegelt. Zu treffend für den „normalen“ Spieler dachte sich wohl Publisher Activision: Nach der Übernahme von Vivendi wollte man dem „Special Interest“-Projekt keine Unterstützung mehr zusagen. Tim Schafer stand mit Brütal Legend auf der Straße und suchte einen neuen Publisher, den er schließlich in EA fand. Wir wollen beleuchten, ob EAs Mut auch mit einem spielerischen Toptitel belohnt wurde.
Protagonist Eddie Riggs (modelliert nach und mit der Stimme von Jack Black) ist deprimiert: Als Roadie muss er den Untergang des Heavy Metal hautnah miterleben. Statt Rebellion und Kunststücken auf der Gitarre zelebrieren moderne Bands nur noch alberne Rap- und Metal-Mischmusik, tragen noch albernere Outfits und singen über belanglose Themen für Weicheier. Eddie vermisst die gute alte Zeit, als raue Kerle in Lederklamotten und mit langen Haaren die Bühnen der Welt bevölkerten. Bei einem Auftritt kommt es dann zur Katastrophe: Als er einem unsympathischen, jungen Gitarristen das Leben rettet, wird er von einem umfallenden Verstärkerturm erschlagen. Als er wieder erwacht, findet er sich in einer surreal anmutenden Parallelwelt wieder: Wo er auch hinblickt, sieht er verchromte Totenköpfe von den Wänden hängen und Eiserne Kreuze und Schwerter, die wie Obelisken des Metal aus dem Boden ragen. Ganz klar: Diese Welt rockt! Leider wird Eddie ziemlich schnell von einigen finsteren Druiden gestört, die ihm offenkundig ans Leder wollen. Also schnappt er sich zu seiner Verteidigung schnell die beiden einzigen Gegenstände in der Nähe: Eine riesige Axt – und eine E-Gitarre.
Von da an führt euch das Spiel nach und nach in die unzähligen Spielelemente von Brütal Legend ein: Tim Schafer hat zahlreiche moderne Genres durch den Fleischwolf gedreht und so eine unkonventionelle Mischung aus Action-Adventure im Open World-Setting und Echtzeitstrategie erschaffen, die sich mit keinem bislang erhältlichen Titel vergleichen lässt. Zusammen mit der abstrakten Spielwelt, die Tim Schafer-typisch in bester Tradition von Titeln wie Psychonauts oder Grim Fandango steht, ist so ein Spiel dermaßen fernab des Durchschnitts entstanden, wie es heutzutage nur noch selten in den Händlerregalen zu finden ist. Steht also zu Beginn wildes Knöpfchenhämmern und Hack and Slay mit der Axt im Vordergrund, wird Brütal Legend im weiteren Spielverlauf immer komplexer. Die Gitarre ist dabei von Beginn an Eddies treuester Begleiter und funktioniert als eine Art Fernkampfwaffe: Auf Knopfdruck lassen eure Riffs Blitze oder Feuer vom Himmel regnen, was besonders bei sich schnell bewegenden Gegnern oft von Vorteil sein kann.
Nachdem die ersten Schergen des Bösen besiegt wurden erfährt Eddie ziemlich schnell, dass er nicht ohne Grund in der Welt des Metal gelandet ist, sein Schicksal scheint eng mit dem der Parallelwelt verknüpft zu sein. So führt ihn seine erste Reise Nach Bladehenge, die Siedlung der „Halfords“ (Hallo, Zaunpfahl!), wo ihn Anführer Lars in seine Pläne einweiht, die Mächte des finsteren Herrschers endgültig zu besiegen. Eddie gilt als „der Auserwählte“, der bereits in den ältesten bekannten Schriften angekündigt wird. Jedoch ist man sich bei den Halfords unklar darüber, ob Eddie die Welt retten oder für immer zerstören wird. Zunächst vertraut man Eddie allerdings, und er wird mit dem ersten Auftrag betreut: Die „Headbanger“ werden in einer Mine von einem Bösewicht namens „Lionwhyte“ festgehalten. Der Glam-Rocker verzaubert die Metal-Kids mit falschen Versprechungen von Ruhm und Macht, sodass sie wie Sklaven Tag und Nacht für ihn schuften.
Die Befreiung der Gefangenen geschieht ganz nach Tim Schafer-Art: Mit der Gitarre müsst ihr ein kurzes Riff erklingen lassen, dass die Headbanger in der Umgebung aus Ihrem Dämmerschlaf befreit. Nach kurzer Überzeugungsarbeit stehen euch die Jungs fortan zur Seite und helfen dabei, auch die restlichen Gefangenen aus der Mine zu befreien. Hier kommt erstmals die Echtzeitstrategie-Komponente zum Vorschein: Mit simplen Befehlen könnt ihr die Headbanger durch die Mine navigieren. Mit einem Druck auf das Digi-Pad schickt ihr sie so zum Angriff, lasst sie einen bestimmten Ort verteidigen oder ruft sie zu euch. Auch eine Spezialattacke beherrschen eure Jungs: Auf Knopfdruck formen die Headbanger einen Moshpit um euch herum und bangen so jeden aus dem Weg, der euch zu nahe kommt. Später im Spiel kommen immer mehr Einheiten dazu, die jeweils unterschiedliche Spezialattacken beherrschen. Auch für die Gitarre gibt es verschiedene Riffs zu erlernen: Die meisten davon findet ihr in der Welt verteilt auf so genannten Runensteinen. Die hier eingravierten Tabulaturen schalten neue Fähigkeiten frei. So könnet ihr beispielsweise euer Gefährt schnell herbeirufen oder die Gesichter von Gegnern schmelzen lassen.
Habt ihr diese zweite „Tutorialmission“ gemeistert, nimmt Brütal Legend schnell Fahrt auf: Nach und nach müsst ihr die Handlanger des Bösen bekämpfen. Das Besondere ist hier nicht unbedingt die Geschichte selbst, sondern die Art, wie sie erzählt wird: Euer Feldzug gegen das Böse ist eine Metal-Tournee. Mit eurer Bühne zieht ihr so von einem Auftritt zum nächsten, jeder „Gig“ ist dabei eine Schlacht gegen einen der Bösewichte. Tim Schafers Idee von Echtzeitstrategie hat nämlich mit den üblichen Genrevertretern wie Command & Conquer nichts gemein: Eure Basis ist die eigene Bühne, das Ziel, die gegnerische zu zerstören. Dazu beschwört ihr verschiedene Einheiten, die allerdings mit Fanpower bezahlt werden müssen. Hierzu braucht ihr die auf dem Schlachtfeld verteilten Quellen von Fanseelen: Errichtet ihr einen Merchandise-Stand auf diesen, liefern sie fortan regelmäßig Fanpower, die ihr für die Versorgung eurer Armee benötigt. Dabei steuert ihr das Geschehen stets aus der Perspektive von Eddie, den ihr während des gesamten Spiels aus der klassischen Third Person-Sicht steuert. Mit ihm fliegt ihr über das Schlachtfeld – dämonische Flügel sei Dank – und befehligt eure Truppen gegen die Horden, Merchandise-Stände und schließlich die Bühne des Gegners. Ihr dürft auch selbst in das Geschehen eingreifen und gegnerische Horden mit eurer Axt oder Gitarrensoli aus dem Weg räumen. Die geniale Idee sorgt zunächst für ein breites Grinsen, wird aber leider schnell vom hakeligen Gameplay überschattet: Eure Armee steuert sich sehr sperrig, einzelne Einheiten Befehle zu erteilen ist eine echte Qual. Außerdem fehlt eine Übersichtskarte, die besonders bei den späteren, komplexeren Schlachten ein absolutes Muss gewesen wäre. So verliert ihr viel zu schnell den Überblick und dank der umständlichen und überladenen Steuerung auch schnell die Kontrolle. Gepaart mit starken Gegnern, die jeden eurer Züge sofort kontern, kommt so schnell Frust auf. Besonders ärgerlich ist, dass es während der Schlachten keine Checkpoints gibt: Zerstört der Gegner nach einer zähen Stunde eure Bühne, müsst ihr komplett neu anfangen. Einnehmbare Zwischenziele während der Schlachten wären hier der Schlüssel zu deutlich weniger Frust gewesen.
Nichtsdestotrotz machen die Bühnenkämpfe auf den verschiedenen Schlachtfeldern Laune, auch wenn sie sich im Kern allesamt sehr gleich spielen. Um keine Monotonie aufkommen zu lassen, haben die Entwickler eine Open World Komponente ins Spiel gebracht: Zwischen den Missionen dürft ihr mit eurem Hot Rod, dem „Feuerteufel“, frei die raue Metalwelt erkunden und zahlreiche Miniaufgaben bewältigen. Belohnt werdet ihr dafür mit Punkten, die ihr in der Schmiede für Verbesserungen ausgeben dürft. Schmieden sind überall auf der Weltkarte verteilt und laden dazu ein, euren Hot Rod mit Waffen und Motorverbesserungen aufzumotzen, neue Spezialattacken zu kaufen oder neue Angriffe für eure Axt oder Gitarre freizuschalten. Hierbei hilft euch der „Wächter des Metal“, im echten Leben Ozzy Osbourne. Generell gibt es im Laufe des Spiels viel zu entdecken und so manches bekannte Gesicht kreuzt euren Weg: Auch wenn die echten Namen im Spiel nicht genannt werden, so erkennt man doch auf Anhieb Legenden des Metal wie Rob Halford, Lemmy Kilmister und Lita Ford, die allesamt nach ihren realen Vorbildern modelliert wurden und auch die Originalstimmen mitbringen – generell ist es daher sehr zu empfehlen, Brütal Legend im Originalton zu spielen. Im Optionsmenü lassen sich auch dann bei Bedarf deutsche Untertitel einblenden.
Der Multiplayer-Part bietet die „Deathmatch“ genannten Bühnenschlachten in Echtzeit (die auch das Herzstück des Story Modus bilden), die hier noch um einiges spaßiger sind. Zwar wird die Steuerung online natürlich nicht besser, da euer Gegenüber aber mit den gleichen Problemen zu kämpfen hat, sind die Duelle hier wesentlich fairer und ausgeglichener. Entwickler Double Fine setzt große Hoffnungen in den Mehrspielerpart, sodass bereits kurz nach Release die ersten Karten als Downloadcontent erschienen sind, um die Langzeitmotivation zu erhöhen.
Auf der technischen Seite ist Brütal Legend hingegen eher durchwachsen: Indiskutabel genial ist – natürlich – der Soundtrack. Über 100 Tracks von 45 Bands sind im Spiel vertreten, die den Metal in nahezu allen Facetten vertreten. Vom klassischen Rock von Bands wie den Scorpions oder Kiss bis hin zu düsterem Black Metal der Marke Dimmu Borgir oder dem sperrigen, progressiven Pagan Metal der Band Enslaved – Brütal Legend hat für jede Szene das passende musikalische Gegenstück parat. Die Optik ist allerdings nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit: Zwar sind die Details der Charaktere und auch ihre Mimik gut getroffen, die Umgebung wirkt aber immer etwas eintönig und karg. Auch Explosionen und andere Effekte könnten beeindruckender inszeniert sein. Hässlich ist Brütal Legend deswegen zwar noch lange nicht, modernen Titeln wie Uncharted 2 kann das Spiel aber nicht mal im Ansatz das Wasser reichen.
Fazit:
Brütal Legend ist ein Spiel für Metal-Fans – es will dem „normalen“ Publikum gar nicht gefallen. Vom Design der Spielwelt über die vielen Anspielungen auf Details der Metalgeschichte bis hin zu dem umfangreichen und perfekt ausgewählten Soundtrack: Man spürt in jeder Minute, wie viel Herzblut Tim Schafer in „seinen“ Titel gesteckt hat und wie gut er sich in der Metal-Szene tatsächlich auskennt. Dennoch teilt Brütal Legend das Schicksal mit anderen Spielen von Schafer, wie beispielsweise Grim Fandango: Der Designer ist ohne Zweifel ein genialer Skriptschreiber und Weltenerschaffer – ihm fehlt aber leider etwas das Know How, wie man all diese Ideen in ein ebenso geniales Gameplay verpackt. Deshalb ist Brütal Legend bis zum Schluss ein unterhaltsamer Titel, dem man seine Schwächen nicht zuletzt aufgrund der Thematik und einem genialen Jack Black gerne verzeiht – für ein Denkmal auf dem Olymp der Videospielgeschichte reicht es aber leider nicht. Jeder, der etwas mit der Musik und ihrer Szene anfangen kann, sollte Brütal Legend dennoch gespielt haben und den Titel als das betrachten, was er letzten Endes ist: Eine interaktive Aneinanderreihung von genialer Musik und Jack Black-typischen Sketchen – konstant begleitet von einem zur Stimmung passenden Gameplay und viel unterschwelligem Humor, den nur Metal Fans der „alten Schule“ vollständig verstehen werden. Und so soll es auch sein. Simon Weiß
Wertung: 8/10