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Testbericht: Lost Odyssey

02. 04. 2008 | Kategorie: Testberichte

Mit ihrem ersten Spiel Blue Dragon haben sich die Mistwalker Studios bereits einen Namen bei allen Fans traditioneller japanischer Rollenspiele gemacht. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass die Gründer des Entwicklers ehemalige Square Enix-Mitarbeiter sind und schon Reihen wie Final Fantasy mitgeprägt haben. Lost Odyssey ist das zweite und sehr viel ernsthaftere Spiel von Mistwalker. Ob der Wechsel von süß und bunt zu dunkel und ernst funktioniert hat, lest ihr hier.

Screenshot: Lost OdysseyWer sich Lost Odyssey zulegt sollte viel Zeit mitbringen: Mit vier DVDs ist das Rollenspiel nämlich das bisher platzintensivste Spiel in der Geschichte der Rollenspiele. Mindestens 50 Stunden Zeit sollte der Spieler mitbringen, wenn er den Abspann sehen will. Durch die wunderschöne Inszenierung werden geduldige Spieler aber jederzeit bei der Stange gehalten. Das Spiel beginnt mit einer höchst dramatischen vorgerenderten Schlachtszene, die sogar die Schlachten aus den „Herr der Ringe“-Verfilmungen in den Schatten stellt. Eine Armee von Soldaten mit seltsamen goldenen Helmen stürmen auf das Schlachtfeld, auf dem sie bereits eine ganze Armee von Rittern mit ebenfalls sehr seltsamen – aber schwarzen – Helmen und einige Kriegsmaschinerie erwartet. Plötzlich seht ihr einen Mann, der sich furchtlos und blitzschnell durch die feindlichen Linien kämpft. Der von Kleidung und Statur sehr feminin wirkende Mann ist euer Hauptcharakter: der unsterbliche Kaim Arogonar.

Screenshot: Lost OdysseyNachdem die Sequenz vorbei ist, werdet ihr in das Prinzip der Kämpfe von Lost Odyssey eingeweiht. Diese laufen ähnlich ab wie schon in den älteren Teilen der Final Fantasy-Reihe: Ihr dürft jeder Figur aus eurem Team in aller Ruhe Befehle geben, was als nächstes zu tun ist. Danach könnt ihr nur noch zusehen, was passiert. Nachdem ihr als Einzelkämpfer einige schwarze Soldaten und eine Kriegsmaschine erledigt habt, passiert es: Eine weitere Zwischensequenz folgt, in der sich der Himmel rot-schwarz färbt und ein Meteorit daraus hervorbricht, der auf das Schlachtfeld niederstürzt und nichts als Chaos und Zerstörung hinterlässt. Kaim ist scheinbar der einzige Überlebende. Leider hat er durch den Meteoritenabsturz sein Gedächtnis verloren und ist ab diesem Zeitpunkt auf der Suche nach Antworten. So zieht er los, um diese zu finden. Ein etwas zwielichtiger Geselle namens Gongora, der Kaims Vorgesetzter zu sein scheint, schickt ihn auf eine Mission, um der Sache auf den Grund zu gehen. Nach nicht allzu langer Spieldauer stellt sich Gongora jedoch als euer größter Widersacher heraus. Ihr sollt begeleitet von einem Untergebenen von Gongora, der eigentlich ein Spitzel ist, zum so genannten Grand Staff gehen. Diese mächtige magische Maschine soll die Wirtschaft des Landes Uhra antreiben. Allerdings ist dies nicht der einzige Verwendungszweck des Grand Staff, auf dessen dunkles Geheimnis ihr im Laufe des Spiels stoßt. Während Kaim sich auf seine Reise zum Grand Staff vorbereitet, trifft er auf Seth, eine andere Unsterbliche, die ebenfalls in der Schlacht gekämpft hat und ihr Gedächtnis verloren hat. Der Spitzel von Gongora ist der sterbliche Schwarzmagier Jansen, welcher die Funktion des Spaßmachers der ansonsten sehr ernsten Truppe erfüllt. So seid ihr zunächst zu dritt unterwegs und könnt nun zum ersten Mal die taktischen Finessen des Kampfsystems von Lost Odyssey erfahren.

Screenshot: Lost OdysseyIm Kampf kommt normalerweise jeder Charakter in eurem Team einmal pro Runde zum Zug. Ob er dabei vor oder nach den Gegnern an die Reihe kommt, hängt von seinem jeweiligen Geschwindigkeitswert ab. Außerdem muss man beim Sprechen von Zaubersprüchen auf den Wert des Spruchs achten, der sich aus einem Buchstaben und einer Zahl zusammensetzt. So kann zum Beispiel der Wert des Spruchs 1 – A sein. Die erste Zahl sagt aus, dass eine Runde benötigt wird, um den Spruch zu sprechen. Die stärksten Sprüche brauchen bis zu vier Runden, was aber durch die Fähigkeit „Casting Support“ verkürzt werden kann. Der Buchstabe drückt den Zeitpunkt in der Runde aus, in der Zauberer an der Reihe ist. In unserem Beispiel würde der Zauberer also wahrscheinlich gleich am Anfang der Runde an die Reihe kommen. Bei einem Spruch mit den Werten 1 – L oder höher kommt er meist erst gegen Ende der Runde zum Zug. Sprüche teilen sich in vier Kategorien: Schwarzmagie für Angriffzauber und Zustandsveränderungen; Weiße Magie zum Heilen von Health Points (HP) und Zustandsveränderungen; Spirit-Magie für das Schützen der eigenen und das Schwächen der anderen Partei; Kompositmagie vereint zwei Sprüche miteinander, sodass man beispielsweise gleichzeitig HP und Zustandsveränderungen heilen kann.

Screenshot: Lost OdysseyFür den direkten Feindkontakt haben sich die Entwickler etwas Besonderes einfallen lassen: Ihr findet im Verlauf des Spiels immer wieder Materialien, aus denen ihr im Menü Ringe schmieden könnt. Diese haben bestimmte Fähigkeiten: So verursacht ein Ring Feuerschaden, während der andere besonders gut gegen Tiere wirkt. Wenn im Kampf mit einem Ring angegriffen wird, muss der rechte Trigger gezogen werden. Man sieht einen Kreis im Bild, während der Charakter auf den Gegner zu rennt. Nun muss der rechte Trigger gezogen und im richtigen Moment losgelassen werden. Beim richtigen Timing erscheint ein „Perfect“ auf dem Bildschirm. Nun zeigt der Ring seine volle Wirkung. Bei „Good“ ist die Wirkung schwächer, bei einem „Bad“ ist es, als würdet ihr ohne Ring angreifen. Die Ringe zu schmieden macht viel Spaß und motiviert dazu, jeden Winkel der Levels zu durchforsten.

Screenshot: Lost OdysseyEin weiterer wichtiger Bestandteil der Kämpfe ist die Formation. Zauberer sollten in der hinteren Reihe stehen, physisch besonders starke Charaktere wie zum Beispiel Kaim stehen vorne. Je stärker die Charaktere in der vorderen Reihe sind, umso höher ist eure „Guard Condition“ (GC), die durch die HP der vorderen Reihe errechnet wird. Diese zeigt an, wie gut die hintere Reihe von der vorderen geschützt wird. So nehmen die physisch schwächeren Charaktere in der hinteren Reihe deutlich weniger Schaden. Durch Attacken auf die vordere Reihe sinkt jedoch die GC. Man sollte darauf achten, dass die GC niemals null erreicht, weil sonst die hintere Reihe genauso verwundbar ist wie die vordere. Außer diesen speziellen Dingen, die im Kampf zu beachten sind, bietet Lost Odyssey auch die Standard- Funktionen japanischer Rollenspiele: Gegenstände benutzen, Verteidigung und Fliehen (was eher selten klappt). Skills wie beispielsweise ein Doppelschlag können auch benutzt werden, allerdings zeigen die Ringe nur bei einem normalen Angriff Wirkung. Die Ausrüstung kann während des Kampfes auch gewechselt werden. Dies ist wichtig, um immer die richtigen Ringe für die entsprechende Situation zu tragen.

Screenshot: Lost OdysseyIm gesamten Spiel ist es sehr wichtig, sowohl sterbliche als auch unsterbliche Charaktere in eurem bis zu fünf Mann starken Team zu haben. Sterbliche lernen nämlich mit dem Levelaufstieg neue Fähigkeiten, sind aber auf eine bestimmte Anzahl davon beschränkt. Unsterbliche lernen keine Fähigkeiten im Kampf und können über den so genannten „Spirit Link“ jede Fähigkeit der Sterblichen lernen. So kann ein unsterblicher Charakter praktisch jede Fähigkeit lernen, tut dies aber nicht automatisch. So muss man als Spieler immer ein Auge auf die Fähigkeiten der Unsterblichen haben. Abseits der wunderschön inszenierten Kämpfe fällt die Qualität des Spiels leicht, wenn auch nicht gravierend, ab. Das Spielgeschehen gerät des Öfteren ins Stocken, das grafische Niveau ist schwankend: Manche Szenen sind atemberaubend, während einige Landschaften recht undetaillierte Texturen aufweisen und wenig beeindruckend sind. Außerdem fallen die Ladezeiten über den gesamten Spielverlauf negativ auf: Vor großen Zwischensequenzen kann es passieren, dass man annähernd eine Minute lang warten muss. Dies ist zwar die Ausnahme, jedoch wird in Lost Odyssey auch sehr oft kurz nachgeladen. Allgemein ist das Spiel eher etwas für die geduldige Art von Spielern: Kaim, dessen Gedächtnis gelöscht wurde, erinnert sich durch bestimmte Reize an Geschichten aus seinem schon tausend Jahre währenden Leben. Wenn er zum Beispiel ein Gespräch mithört, erscheint eine Einblendung: Nun kann sich der Spieler auf eine wirklich sehr gut geschriebene Geschichte aus Kaims füheren Leben freuen, die aber leider bis zu zwanzig Minuten dauert und nur aus animierten Textfenstern besteht. Diese Geschichten lassen sich auch überspringen, allerdings gewinnt euer schweigsamer Hauptcharakter durch sie an Tiefe und man versteht seine Beweggründe besser. Für die Zwischensequenzen gilt dasselbe: Sie sind zwar langatmig und sehr ausführlich, erlauben euch aber einen tieferen Einblick in die Geschichten eurer Charaktere. Ungeduldige Spieler, die nicht gern lesen, sollten also einen weiten Bogen um Lost Odyssey machen. Auch außerhalb der Kämpfe und Zwischensequenzen ist Lost Odyssey ein eher klassisches Spiel. Ihr öffnet Kisten, drückt Schalter, erklimmt Leitern etc. Im weiteren Verlauf des Spiels erhaltet ihr auch ein Schiff, um von einem Kontinent zum anderen zu gelangen. Wenn ihr anlegt, müsst ihr über Land reisen. Hier steuert ihr eure Figur aber nicht selbst, sondern wählt einfach euren Zielpunkt, woraufhin ihr von grandioser Musik begleitet auf der Karte euren Zielpunkt anseht.

Die Musik verdient eine gesonderte Erwähnung. Nobuo Uematsu, der schon für die grandiosen Final Fantasy-Kompositionen verantwortlich war, übertrifft sich hier ein weiteres Mal selbst: Tolle Melodien begleitet von großartigen Effekten im Kampf machen Lost Odyssey zu einem echten audiovisuellen Erlebnis und fangen die Stimmung zu jedem Zeitpunkt perfekt ein.

Fazit

Lost Odyssey mag altmodisch sein und seine Macken haben. Aber jeder, dem das neue Kampfsystem der neuen Final Fantasy-Teile missfällt und der wieder ein Spielerlebnis im Stil von Final Fantasy VII haben will, muss sich dieses Spiel einfach zulegen. Die Story kommt zwar nicht ohne die üblichen „Gut und Böse“-Klischees aus, ist aber auf eine großartige Weise erzählt. Auch wenn euch euer Hauptcharakter Kaim anfangs noch unsympathisch erscheinen mag, lernt ihr ihn im Laufe des Spiels immer besser kennen und fühlt in jeder Situation mit ihm und den anderen Charakteren eures Teams. Der Soundtrack ist genial, das Kampfsystem ist über jeden Zweifel erhaben. Wenn die technischen Mängel nicht wären, hätte Lost Odyssey ohne Probleme die 90er-Marke überschritten. Benjamin Dross

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