Testbericht: Red Dead Redemption
Nach dem mäßigen Erfolg von Read Dead Revolver gab es für Rockstar Games nur eine logische Möglichkeit, das Universum des Wilden Westen zu retten: Die Geschichte um Outlaws und Revolver wurde kurzerhand in ein Open World-Szenario transferiert, inklusive der kompletten technischen und spielerischen Grundlage des erfolgreichen GTA IV. Aber ist Red Dead Redemption mehr als nur ein Abklatsch des studioeigenen Überspiels?
Eigentlich drängt sich der Wilde Westen als Setting für ein Rockstar-Spiel nahezu auf: Die vor Klischees triefenden, filmischen Vorlagen lassen den Entwicklern viel Platz für zünftige Action-Szenen und wirken gleichzeitig wie gemacht für doppeldeutigen und intelligenten Humor mit einem nachdenklichen Unterton, der auch schon GTA IV zu so einem erwachsenen, sozialkritischen Spiel hat werden lassen, das nur oberflächlich grell und gewalttätig wirkt. Das Rezept geht auch bei Red Dead Redemption auf, denn im Grunde geht es auch hier um einen tragischen Antihelden, der durch einen Sumpf von Erpressung, Korruption und Unterdrückung waten muss, nur um dabei Stück für Stück den amerikanischen Traum zu entlarven. Viel erfahrt ihr zu Beginn nicht über euer Alter Ego John Marston: Wortlos werdet ihr von zwei unfreundlichen Gestalten in einen Zug geschubst, der euch quer durch die Prärie in ein Kaff irgendwo im Süden Amerikas bringt. Während der Fahrt wird jegliche Romantik, die beim Ausblick aus dem Fenster aufkommen könnte, bereits im Keim erstickt. Alte Damen freuen sich herrlich ignorant über die zahlreichen Möglichkeiten, die die Zivilisation den gezähmten Wilden des Landes doch bringt, ein Missionar klärt seine Schülerin über die Wichtigkeit der heiligen Kommunion für die Ureinwohner auf. Rockstar sorgt dafür, dass man den glorreichen Wilden Westen schon nicht mehr ernst nehmen kann, bevor man auch nur eine Sekunde selbst die Kontrolle über die Figur hatte. Generell zeichnen die Entwickler ein düsteres Bild der Epoche: Das Jahr ist 1908, erste Autos und Elektrizität gehören zum Alltag, Gerüchte reden von „fliegenden Fahrzeugen“, die schon bald zwischen den Kontinenten verkehren sollen. Die Aufbruchstimmung und das Gefühl neuer Freiheit, das die Pioniere in Scharen angezogen hat, sind längst wieder verflogen. Gewalt, Gier und Korruption bestimmen den Alltag der Neuen Welt – ganz wie in GTA IV.
Erst nach einigen Spielstunden wird klar, wer John Marston eigentlich ist, und warum er sich von einigen zwielichtigen Leuten herumkommandieren lässt: Er ist ein ehemaliger Krimineller, ein Waise, der von machthungrigen Politikern erpresst wird. Entweder, er hilft der Justiz, seine ehemaligen Weggefährten Dingfest zu machen, oder ihm und seiner kleinen Familie wird es sehr schlecht ergehen. Nach und nach bewegt ihr euch also – meist auf dem Rücken eines Pferdes - durch die offene Spielwelt, reist von einem Ort zum nächsten und erledigt dabei unzählige Aufträge für die Einwohner. Dabei erfahrt ihr immer mehr über die Vorgeschichte des Protagonisten, trefft auf alte Bekannte – und schießt vor allem viel. Natürlich, denn trotz aller Dramatik und Doppeldeutigkeit ist Red Dead Redemption immer noch ein Action-Spiel und gibt euch reichlich Gelegenheit, die Überlegenheit eines echten Revolverhelden zu fühlen. Die Duelle mit Gewehren, Überfälle auf Züge und zahlreichen anderen Abenteuer sind dabei oft als Hommage an bekannte Klassiker der Filmgeschichte inszeniert, was so manchen Genre-Fan wiederholt zum Schmunzeln bringen dürfte.
Wie es sich für Rockstar gehört, hat man als Spieler immer das Gefühl völliger Bewegungsfreiheit: Fernab der Zivilisation schlägt man einfach ein Lager auf, um sein Spiel zu speichern und wieder zu Kräften zu kommen. In den Ortschaften lassen sich durch Poker oder Hufeisenwerfen ein paar Dollar hinzuverdienen, vielleicht helft ihr auch nur mal schnell einem Freund, seine Rinder auf die Koppel zu treiben – auch abseits der Haupthandlung gibt es wieder so viele Nebenmissionen und Aktivitäten, dass man das Spiel theoretisch nie mehr aus der Laufwerksschublade entfernen muss. Nur die Steuerung verhagelt euch ab und zu die Freude am Spiel, fällt sie doch oft erstaunlich schwammig aus. Trotz gekonnter Pistolenakrobatik in Zeitlupe wird es daher manchmal geradezu anstrengend, John auf Anhieb in die richtige Richtung laufen oder hinter einem Felsen Deckung nehmen zu lassen – das konnte selbst das betagte GTA IV die meiste Zeit besser.
Euer Handeln hat direkte Auswirkungen auf das Spiel: Überfallt ihr beispielsweise am laufenden Band Züge oder Postkutschen, wirkt sich das negativ auf eure Ehrenhaftigkeit aus – auch wenn es euch viele zusätzliche Dollar für bessere Schießeisen einbringt. Bekommen die örtlichen Händler allerdings irgendwann Angst vor euch und eurem vorauseilenden Ruf, schlagen sie euch vielleicht einfach die Tür vor der Nase zu. Durch solche Konsequenzen überdenkt man so manche Tat etwas länger und gründlicher, was dem Spiel eine zusätzliche Tiefe verleiht. Völlig guten Gewissens dürft ihr allerdings im Online-Modus um euch schießen: Rockstar hat sich hier bemüht, das Gefühl der offenen Spielwelt auch in die Online-Welt zu transportieren. Das bedeutet, dass ihr euch mit insgesamt 16 Spielern zu einer „Gang“ zusammenschließen könnt, was gleichzeitig eure Lobby darstellt. Als Gang könnt ihr dann beispielsweise kooperativ Dörfer von Banditen befreien oder Koyoten jagen, oder ihr schaltet um in ein Deathmatch, das auch in Teams funktioniert. Auch die ewige Jagd nach dem Gold wurde spielerisch umgesetzt: Dabei muss jeder Teilnehmer die versteckten Goldsäcke auf der abgesteckten Karte finden und zu einer Kiste bringen – wer am Ende der Runde die meisten Schätze angehäuft hat, gewinnt.
Die Technik von Red Dead Redemption transportiert die Atmosphäre des Gameplays gut, hat aber stellenweise auch mit den Tücken einer offenen Spielwelt zu kämpfen: So mancher Clipping-Fehler oder die ein oder andere ungelenke Animation stören hin und wieder die perfekte Illusion der weiten Prärie. Auch die Texturen könnten ruhig etwas schärfer sein, außerdem fallen auf der Playstation 3 die geringe Auflösung und gelegentliche Ruckler negativ auf. Insgesamt ist das aber Meckern auf hohem Niveau, denn für einen Open World-Titel sieht Red Dead Redemption hervorragend aus. Die Bewegungen der Pferde wirken absolut natürlich, und stimmungsvolle Sonnenuntergänge und Wasserspiegelungen lassen die Spielwelt zusätzlich lebendig wirken. Dabei verschlägt es euch von kargen Wüsten über schneebedeckte Berge bis in grüne Täler – sobald euch der Wüstensand zum Hals heraushängt, sorgt das Spiel für die nötige Abwechslung. Begleitet wird das Spektakel von einem genialen Soundtrack, der sich ebenfalls die Großen des Films zum Vorbild genommen hat: genau so hat die musikalische Untermalung in einem Western zu klingen. Später im Spiel führt euch eure Suche außerdem nach Mexiko, wo Klänge des schwedischen Songwriters Jose Gonzalez auf euch warten - auch hier passt die atmosphärische Musik hervorragend zum Spielgeschehen.
Fazit:
Rockstar hat ein natürliches Gespür für echte Hits: Auch beim Spielen von Red Dead Redemption ist man überwältigt von der Liebe zum Detail und dem schieren Umfang. Die Entwickler bedienen jedes Klischee des Western-Genres, ohne den Titel dabei jedoch flach oder kitschig wirken zu lassen – ganz im Gegenteil besticht Red Dead Redemption wieder durch einen düsteren Unterton und viel doppeldeutigen Humor, der eine weitere Epoche des amerikanischen Traums stilvoll moralisch demontiert. Die Idee eines „GTA IV im Wilden Westen“ mag vielleicht nicht sonderlich originell sein, funktioniert aber hervorragend – Rockstar schafft das Kunststück, dem Titel trotz aller spielerischer Ähnlichkeiten eine eigene Seele einzuhauchen. Lediglich einige technische Unzulänglichkeiten sowie eine streckenweise unnötig hakelige Steuerung verhindern eine Höchstnote für Red Dead Redemption – auch wenn das kein Grund sein sollte, dieses geniale Spiel in den Händlerregalen verstauben zu lassen. Simon Weiß
Wertung: 9/10