Videospielkultur.de » Testberichte

Testbericht: A New Beginning

04. 11. 2010 | Kategorie: Testberichte

Sicher stellt sich jeder Mensch von Zeit zu Zeit die Frage, wie unsere Welt in Zukunft aussehen wird, ob wir sie bis zu ihrem natürlichen Ende bewohnen oder ob wir gar für ihren Untergang verantwortlich sein werden. Stehen momentan alle Anzeichen eher für letztere Situation, muss man sich wohl oder übel der Verantwortung des Menschen über seinen Heimatplaneten bewusst werden, um der Konsequenzen die unser sorgloses Handeln trägt. Wie sich eine Spezies selbst auslöscht und voller Hoffnung in die Vergangenheit blickt, demonstriert Daedelics Point-and-Click Adventure A New Beginning.

Bereits mit Edna bricht aus und The Whispered World bewiesen die Hamburger Entwickler von Daedelic Entertainment, dass sie ein Gespür für nostalgisch angehauchte Adventures mit „stark narrativem Charakter“ besitzen. Wo genannte Spiele eher wenig Bezug zur Realität hatten, sieht sich A New Beginning als eine Erzählung dessen, was in naher Zukunft durchaus auf die Menschheit zukommen könnte – gewürzt mit einer Prise Science-Fiction. Und obwohl sich Daedelics Spross narrativ klar von anderen Genrevertretern abhebt, ist man aufgrund der aktuellen Vielfalt der in Deutschland produzierten Adventures fast schon geneigt, die Präsentation des Titels „urdeutsch“ zu nennen: klassisch, möglichst zweidimensional, simple Bedienung per Maus.

A New BeginningGehen wir davon aus, der Klimawandel hätte bis ins Jahr 2500 die Menschheit dahingerafft, nur Wenige konnten sich von der unbewohnbaren Erdoberfläche in unterirdische Systeme retten und müssten dort ihr Leben fristen. Würden wir nicht auch beschließen, eine Reise in die Vergangenheit anzutreten, um diesen Zustand rückgängig und damit die Erde gleichzeitig für eine nahende Sonneneruption wetterfest zu machen? Natürlich würden wir, nur landen die Zeitpiloten von A New Beginning zunächst in der falschen Zeit, denn bereits im Jahr 2050 ist die Erde weitestgehend zerstört. Den Schock, die technischen Probleme und Verluste der Crew erst einmal verarbeitet, wird ein weiterer Zeitsprung veranlasst – in die 1980er Jahre. In jener Zeit lebt ein gewisser pensionierter Wissenschaftler mit Namen Bent Svensson, der vor seinem Arbeitsrücktritt an einer energiespendenden Alge arbeitete, die von großer Bedeutung für die Zukunft der Erde seit könnte – und damit als ultimativer Wegbegleiter für die Zeitfunkerin Fay in Frage kommt.

Eben diesen Bent Svensson, der den Tod seiner Frau und den Antritt seiner Rente verkraften muss, steuert der Spieler im Prolog von A New Beginning, kurz bevor er auf die redegewandte Fay trifft. Sie erzählt ihm von ihrer Herkunft aus dem 26. Jahrhundert und dem Plan, bei einer anstehenden Klimakonferenz für Aufklärung zu sorgen. Da es nun für den Spieler nicht sonderlich spannend wäre ihrem Bericht lediglich zu lauschen, erhält er die Kontrolle über Fay und rätselt sich zunächst durch die Rückblenden – untermalt vom Off-Dialog zwischen Fay und dem aus nachvollziehbaren Gründen etwas skeptischen Bent. Auch ihn wird der Spieler im weiteren Handlungsverlauf mehrmals steuern dürfen, denn natürlich gibt es nicht nur erzählte Flashbacks – stattdessen wechselt das Spiel zwischen verschiedenen Erzählsträngen und eben auch den beiden Charakteren hin und her.

A New BeginningNicht nur allein diese Tatsache sorgt für eine fast filmreife Inszenierung, auch die Handlung selbst hat durchaus einige Wendungen und Überraschungen auf Lager. Klar, technisch gesehen ist A New Beginning kein Uncharted oder Call of Duty, präsentiert sich in schlichtem aber wunderschön gezeichneten 2D und weiß durch die verwendeten Farben durchaus Stimmung aufzubauen – ist beispielsweise das eine Kapitel noch überwiegend in Grüntönen gehalten, folgt das nächste in dominantem Violettfilter. Die Animationen der Figuren sind eher als zweckmäßig zu bezeichnen und hat man andernorts schon weitaus besser gesehen, die zwischen den Kapiteln gezeigten Filmsequenzen sind sehr statisch geraten und bestehen wie im Comic oder Graphic Novel aus mehreren Panelen – außer der Mundbewegung des entsprechenden Charakters tut sich hier kaum etwas. Das hat durchaus seinen Charme und muss als Stilmittel von A New Beginning anerkannt werden, doch wirken diese Videos wie ein Bruch zur ansonsten wunderschönen Spielwelt.

Die Steuerung verweilt im Genrestandard: mit Betätigen der rechten Maustaste öffnet sich das Inventar, mit der linken ein Interaktionsmenü. Dialoge und Vertonung können als gelungen verbucht werden, auch wenn so manch eine Figur hörbar von einem Amateursprecher gesprochen wurde. Dennoch, kein Punktabzug hier, der Gesamteindruck stimmt – wie auch bei der wunderschön komponierten Musik.

A New BeginningDass A New Beginning ein gutes Stück Arbeit war, sieht man dem Titel nicht nur an, auch seine Entstehung reicht ja bekanntermaßen schon mindestens bis ins Jahr 2007 zurück. Ursprünglich für jenes Jahr angekündigt, verschwand das Adventure in den folgenden Jahren fast gänzlich von der Bildfläche. Entwickler Daedelic Entertainment produzierte allerdings fleißig weiter und schob das im letzten Jahr erschienene The Whispered World vor – ein ebenfalls in 2D gehaltenes Point-and-Click Abenteuer. Ob das so klug war werden sich wohl viele Rezensenten fragen, denn die Klasse und Besonderheit von The Whispered World erreicht A New Beginning wahrlich nicht. Das hat allerdings weder mit der technischen Umsetzung, noch mit der andersgearteten Thematik zu tun, sondern vielmehr mit dem Identifikationscharakter und der erschaffenen Welt. War der melancholische Clown Sadwick noch in einer märchenhaften Umgebung mit vielen durchgeknallten Figuren unterwegs, orientiert sich A New Beginning mit seinen eher bodenständigen Charakteren logischerweise näher an der Realität. Ein Vergleich der beiden Titel kommt dem zwischen Äpfeln und Birnen gleich, sah sich das eine doch eher als Märchen und das andere nun als Science-Fiction-Öko-Thriller. Und doch, hat man beide Spiele erfahren – und das sollte man – wird man das undefinierbare Gefühl nicht los, dass The Whispered World einfach ein bisschen besser war.

Erschreckend ist, welch brisanten und höchst aktuellen Stellenwert A New Beginning im Jahr 2010 einnimmt, wie nah sich das beschriebene Zukunftsszenario an unserer Realität befindet. Nur eine Auswahl: Haiti wird von einem gewaltigen Erdbeben erschüttert, Pakistan wird überflutet, vor Moskaus Toren brennen Wälder wochenlang, die Klimakonferenz in Kopenhagen kann als Debakel betitelt werden, die Atomlobby siegt über die regierenden Politiker. Unter diesem Gesichtspunkt kann und muss A New Beginning als einer der wichtigsten deutschen Titel dieses Jahres angesehen werden – Science-Fiction, nur ohne Fiction.

Fazit

Als Fan klassischer Point-and-Click Adventures kommt man um A New Beginning nicht herum. Zwar ist der Humor, der dem Genre ureigen beiwohnt, nicht ganz so ausgeprägt wie bei anderen Titeln, doch liegt genau in dieser Ernsthaftigkeit die Besonderheit des Spiels. Seit „Baphomets Fluch“ wollte ich nicht mehr so akkurat alles in einem Adventure erforschen, der Geschichte all ihre Mysterien entlocken. A New Beginning ist wahrlich ein storybetonter Thriller mit einem Thema, dass aktueller nicht sein kann. Selbst Spielern wie mir, denen der Rummel um den Klimawandel mittlerweile gehörig auf die Nerven geht, sei Daedelics neuestes Kind wärmstens empfohlen – möglichst bevor man, und das sehe ich ebenso als Pflicht an, The Whispered World gespielt hat. Tobias Czullay

Wertung: 8/10

Kommentar verfassen:

Dein Name:   

Sicherheitscode:  



 

Bisherige Kommentare:

Es gibt bisher noch keine Kommentare.