Testbericht: Two Worlds (Xbox 360)
Aus dem europäischen Osten taucht plötzlich eine kleine Spieleschmiede namens „Reality Pump“ auf und beschert der Welt ein Rollenspiel, das die internationale Konkurrenz nicht fürchten muss. Oder doch? Oblivion hat die Messlatte für Rollenspiele in einer offenen Welt ziemlich hoch gesetzt. Aber vielleicht hat Two Worlds ja starke Beine und schafft den Sprung…
Two Worlds erzählt eine höchst typische Fantasy-Geschichte: Der namenlose Held hat nicht nur eine sehr hübsche Schwester, sondern auch bald ein Problem: Aus unerfindlichen Gründen wird diese nämlich eines Nachts entführt. Die einzige Botschaft an euch: Wenn ihr sie unversehrt wieder sehen wollt, müsst ihr euch in einem weit entfernten Dorf mit einem mysteriösen Kapuzenträger treffen. Dieser offenbart euch, dass euer Schwesterherz in den Fängen eines undurchsichtigen Geheimbundes ist. Nur wenn ihr für diesen die fünf Fragmente eines magischen Gegenstandes beschafft, bekommt ihr eure Schwester lebend zurück. Also zieht der Held mit blitzendem Schwert los, bereist den gesamten Kontinent mit dem schönen Namen Antaloor und scheut keine Gefahr, um die fünf Fragmente zu vereinen.
Zu Beginn steht wie immer die Charaktererstellung an: Anders als bei der Konkurrenz sind die Möglichkeiten hier eher mager. Lediglich das Aussehen des Helden lässt sich beeinflussen, alle Startwerte sind vorgegeben. Erst im Spielverlauf lassen sich verdiente Erfahrungspunkte auf Attribute verteilen und neue Fähigkeiten erlernen. Wie üblich sorgen besiegte Gegner und absolvierte Quests für den nötigen Punkteregen. Anders als z. B. in Oblivion steigt ein Attribut nicht automatisch, wenn man es häufig verwendet. Das regelmäßige Knacken von Schlössern macht euch also noch lange nicht zum Meisterdieb: Nur das Verteilen von Erfahrungspunkten sorgt für einen Anstieg der Fertigkeiten.
Wer möchte, kann sich so im Verlauf des Spiels spezialisieren und z.B. die Kunst der Magie perfektionieren, oder er erschafft sich einen Allrounder. Der Wegfall des typischen Klassensystems ist sehr angenehm, da man sich nicht schon zu Beginn des Spiels festlegen muss, welche Art Held man später einmal sein will. Wie oft hat man in einem Rollenspiel nach der Hälfte der umfangreichen Spielzeit schon festgestellt, dass man eine absolut falsche Klasse ausgewählt hat? Dennoch kommen detailverliebte Charakterentwickler auf ihre Kosten. Dafür sorgen auch die umfangreichen Möglichkeiten, seinen Helden auszustatten. Wie es sich für ein episches Rollenspiel gehört, bietet der Titel für eine ausreichende Langzeitmotivation besonders eines: Unzählige Gegenstände, die man sammeln und sogar stapeln kann. Das bedeutet, man kann z.B. mehrere gleiche Waffen zu einer mächtigeren zusammenfügen. Das ist zwar etwas realitätsfern, wertet aber bereits zu Beginn auch schwache Waffen und Rüstungen schnell auf und sorgt so für Erfolgserlebnisse. Auch das beliebte Alchemie-Feature hat seinen Platz in Two Worlds gefunden: Wie bei der Konkurrenz darf fast die gesamte Flora gepflückt und zu Tränken und Salben verarbeitet werden.
Ein deutlicher Unterschied zum großen Vorbild Oblivion ist hingegen die Stärke der Gegner. Diese wachsen nicht mit dem Helden mit, sondern haben einen festen Level. Das bedeutet auf der einen Seite, dass ihr nicht sofort zu Beginn die lohnenswertesten Dungeons plündern könnt: Auf der anderen Seite führt es nach einiger Zeit zu absoluten Kanonenfutter-Gegnern, die aufgrund ihres häufigen Erscheinens wie lästige Mücken wirken. Besonders aggressive Wölfe oder anderes Getier fallen in diese Kategorie. Wen die teilweise gottähnlichen Super-Wildschweine aus Gothic 3 gestört haben, wird sich über diesen Umstand aber wohl eher freuen. Leider erweist sich die Kombination aus stapelbaren Gegenständen und festen Gegnerstärken bald als Balancingproblem. Nach einiger Zeit sind nämlich nur noch schwer Gegner zu finden, die dem aufgemotzten Helden das Wasser reichen können. Insgesamt haben die Entwickler das Spiel außerdem eher für kriegerische Spieler optimiert. Als schwacher Magier hat man stets das Gefühl, unfair benachteiligt zu sein, auch wenn das Spiel trotzdem immer gut spielbar bleibt.
Leider gilt das Motto „gut spielbar“ nur für die PC-Version von Two Worlds: Da besonders die komplexen Menüs eindeutig für eine Maussteuerung optimiert wurden, befällt einen auf der Xbox 360 schnell schiere Verzweiflung. Statt die Steuerung wie bei Oblivion für das Pad intelligent anzupassen, wurde sie hier nur lieblos portiert. Leider gewöhnt man sich auch nach langer Spielzeit nicht an die fummelige Eingabe, sodass ungeduldige Naturen unbedingt zur PC-Fassung greifen sollten. Die verkorkste Steuerung ist nicht der einzige Pluspunkt für die PC-Version: Die Xbox 360-Fassung hat nämlich leider mit einem konstanten Diaschau-Phänomen zu kämpfen. Im Klartext. Die Framerate ist einfach nicht zu tolerieren und macht das Spiel streckenweise unspielbar. Während die Pop-Ups und das plötzlich wachsende Gras auch in der PC-Fassung zu finden sind, hat die halbherzige Portierung nach der Steuerung auch hier wieder zugeschlagen. Insgesamt wirkt das Spiel auf der Xbox 360 wesentlich unfertiger und hässlicher. Schade, denn die Xbox 360 ist technisch zu weit größeren Leistungen fähig, wie die Spiele der jüngsten Vergangenheit gezeigt haben. Die Steuerung ist auf beiden Systemen aber grundsätzlich gut gelungen. Kämpfe gehen leicht von der Hand und sind gut zu beherrschen. Wahlweise darf Antaloor aus der Ego- oder Third-Person-Ansicht erkundet werden. Warum die Kamera bei Kämpfen grundsätzlich in die Schulterperspektive wechselt, bleibt wohl das Geheimnis der Entwickler, stört aber nicht weiter. Sehr negativ fällt eigentlich nur die Reit-Steuerung auf, die alles andere als intuitiv ausgefallen ist. Nicht nur, dass der Gaul oft nicht auf Eingaben reagiert, er bleibt auch ständig irgendwo hängen oder wird bei kleinsten Steigungen plötzlich aus unerfindlichen Gründen quälend langsam. Hier soll aber bald ein umfangreicher Patch für beide Systeme nachgereicht werden, der übrigens auch die Performance der Xbox 360-Version deutlich verbessern soll. Wir sind gespannt… Denn auch der Multiplayer-Modus hat noch unter vielen Bugs zu leiden: Wahlweise dürfen kooperativ eigens angefertigte Mehrspieler-Quests gelöst werden, oder man haut sich gegenseitig die Schwerter um die Ohren. Letzteres macht nicht wirklich Laune: Hier ist man mit einem Shooter besser bedient, da die recht undynamischen Schwertkämpfe schnell langweilig werden. Insgesamt hat der Online-Modus noch schwer unter Lags und Verbindungsabbrüchen zu leiden, aber auch diese sollen mit dem nächsten großen Update der Vergangenheit angehören.
Technisch ist Two Worlds kein Überflieger, aber durchaus solide. Im direkten Vergleich zu Oblivion wirkt die Spielwelt sogar etwas lebendiger und farbenfroher. Die angesprochenen Probleme wie Pop-Ups und Einbrüche der Framerate sind bei fast allen Titeln mit einer offenen Spielwelt vorhanden, und zumindest auf dem PC steht Two Worlds in dieser Beziehung nicht schlechter dar als die Konkurrenz. Der Sound ist ebenfalls gut gelungen, besonders der atmosphärische Soundtrack ist hörenswert. Aber auch die Effekte und die deutsche Synchronisation sind durchweg auf hohem Niveau.
Fazit
Eigentlich möchte ich ungern Two Worlds ständig mit Oblivion vergleichen, denn beide Spiele haben ihre Daseinsberechtigung. Two Worlds erzählt zwar eine einfallslose, aber dennoch spannende Geschichte und wartet mit einer farbenfrohen, lebendigen Welt auf. Oblivion hingegen wirkt etwas steril, gefällt aber mit dem eingängigeren Gameplay und den dynamischen Kämpfen. Hätte Two Worlds nicht so viele technische Macken und ein besseres Balancing, es hätte sich mit dem großen Konkurrenten sicher auf Augenhöhe begeben können. So bleibt aber immer ein fader Beigeschmack, der auf die Atmosphäre und die Langzeitmotivation drückt. Ich bin sehr gespannt auf den Patch, der hoffentlich die gröbsten Patzer wieder ausbügelt. Wer Oblivion schon nicht mehr sehen kann oder einfach auf hohem Niveau unterhalten werden will, dem kann ich Two Worlds dennoch uneingeschränkt ans Herz legen. Zu empfehlen ist aber nur die PC-Version, auf der Xbox 360 ist der Titel - zumindest bis jetzt - einfach streckenweise unspielbar. Hier können ruhig fünf bis sieben Prozent von der Wertung abgezogen werden. Simon Weiß