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Testbericht: Wolfenstein

23. 09. 2009 | Kategorie: Testberichte

„Mein Leben“! Mit einem hierzulande beschlagnahmten Spiel läutete id Software 1992 den Siegeszug des Ego-Shooters ein. Viele Jahre und einige Spin-Offs später wollen die Entwickler von Raven Software für Wolfenstein den Retro-Geist einfangen und gleichzeitig die Serie neu erfinden. Das Ergebnis zeigt, wie schwierig so ein Spagat sein kann.




Statt Nazis: Eure Gegner sind die "Wölfe"William „B.J.“ Blazkowicz ist so wütend wie am ersten Tag: Obwohl er mittlerweile seit 17 Jahren gegen die Nazischergen kämpft, sieht man dem Amerikaner polnischer Herkunft in jeder Zwischensequenz seine Entschlossenheit an. Als Elite-Kämpfer ist es auch diesmal seine Aufgabe, dem okkulten Treiben der Achsenmächte Einhalt zu gebieten. Die haben nämlich die unerschöpfliche Energie der „Schwarzen Sonne“ entdeckt: Diese uralte Macht lässt ihren Beherrscher die Realität manipulieren. Wie geschaffen also für unaufhaltsame Armeen und neuartiges Kriegsgerät. Natürlich haben zahlreiche Widerstandsbewegungen und das US-Militär Wind von den mysteriösen Entdeckungen bekommen und schicken B.J. nach Deutschland, um nach dem Rechten zu sehen. Um der BPjM und den Amtsgerichten der Bundesrepublik Arbeit zu ersparen, hat Publisher Activision für den deutschen Markt die Zensurschere angesetzt: Statt gegen Nazis kämpft ihr gegen die „Wölfe“, statt Hakenkreuze und SS-Runen findet ihr nur fiktive Symbole vor, die an das Quake-Logo erinnern. Auch besonders brutale Effekte wie fliegende Körperteile wurden entfernt, dennoch geizt Wolfenstein nicht mit roter Farbe und besitzt deshalb zu Recht die Kennzeichnung „keine Jugendfreigabe“.

Die "Schwarze Sonne" sorgt für exotische Gegner und WaffenWie die Story vermuten lässt, legt Raven Software keinen Wert auf eine authentische Darstellung des zweiten Weltkriegs. Wolfenstein hatte schon immer mehr den Charme eines billig produzierten B-Movies. Was nicht heißen soll, dass sich Wolfenstein auch „billig“ anfühlt: Der Trash-Charme bringt frischen Wind in das verbrauchte Szenario und verleiht dem Spiel ein entspannendes Augenzwinkern, ohne die Nazi- oder Kriegsthematik jedoch zu verharmlosen. Denn auch im neuesten Ableger der Reihe geht es nicht gerade zimperlich zu: Wie von id und Raven gewohnt, fließt reichlich roter Lebenssaft, und dank des wuchtigen Waffendesigns fühlt man sich schnell als starker und gnadenloser Rächer der Unterdrückten. Jeder Schuss wummert dermaßen heftig aus den Boxen, dass jedem Action-Fan Tränen der Rührung kommen dürften. Die Entwickler verstehen ihr Handwerk, jahrzehntelanger Genre-Erfahrung sei Dank.

Um Wolfenstein nicht im Shooter-Einerlei untergehen zu lassen, haben sich die Entwickler einige Spielelemente bei anderen Titeln geliehen. Jedes Spiel, das heutzutage etwas auf sich hält, bietet dem Spieler eine offene Welt, in der er sich frei bewegen kann. Wolfenstein geht den Mittelweg: So ist der Augsangspunkt für all eure Aufträge das fiktive deutsche Dorf „Isenstadt“. Alle Widerstandsbewegungen, die euch mit Missionen versorgen und so die Story vorantreiben, sind hier zu finden. Nach einem kurzen Dialog, der euch euren Job erklärt, müsst ihr euch dann stets auf den Weg zum Zielgebiet machen. Nach einem kurzen Ladebildschirm schießt ihr euch dann wieder durch die gewohnten, gradlinigen Level, wie ihr sie auch aus zahlreichen anderen Vertretern dieser Spielgattung kennt. So richtig „offen“ fühlt sich die Spielwelt generell leider nicht an: Eher hat man das Gefühl, dass Raven die Spieldauer etwas strecken wollte. Auf dem Weg vom Auftraggeber zum Leveleingang müsst ihr euch nämlich meist lediglich durch unzählige Gegnerwellen kämpfen, die eher wie ein Bremsklotz denn wie eine Herausforderung wirken. Um Isenstadt etwas mehr spielerische Bedeutung zukommen zu lassen, könnt ihr euer Waffenarsenal zwischen den Missionen auf dem Schwarzmarkt aufrüsten. Ein größeres Magazin, weniger Rückstoß… Nach und nach wird eure Bewaffnung immer schlagkräftiger und präziser. Das Geld hierfür verdient ihr für abgeschlossene Missionen, auch gefundenes Nazi-Gold wird als Währung akzeptiert.




Eure Gegner: Meist leider nur KanonenfutterNatürlich wäre die Story um die „Schwarze Sonne“ nut halb so spannend, wenn sich B.J. selbst nicht ihre Kräfte im Laufe des Spiels zu nutze machen könnte. Nach kurzer Zeit findet ihr deshalb das Thule-Medaillon, mit dessen Hilfe ihr das Geschehen um euch herum zu euren Gunsten verändern könnt. Auf Knopfdruck aktiviert ihr den „Schleier“, eine Art Parallelwelt, in der ihr auf Wunsch die Zeit verlangsamen, euch mit einem kugelsicheren Schild umgeben oder euren Kugeln mehr Durchschlagskraft verleihen könnt. Außerdem werden nur hinter dem Schleier verborgene Durchgänge sichtbar, weshalb ihr das Medaillon für einige Rätsel im Spiel braucht. Diese sind aber stets so offensichtlich zu lösen, dass der Begriff „Rätsel“ eigentlich stark übertrieben ist. Dennoch lässt das Thule-Medaillon den Spielablauf deutlich weniger trist wirken und sorgt für etwas Spannung im ansonsten so eintönigen Shooter-Alltag, vor allem, da auch einige Feuerwaffen die Kräfte der Schwarzen Sonne nutzen. Auch die Features des Medaillons dürft ihr auf dem Schwarzmarkt aufwerten.


Die „normalen“ Feuergefechte sind hingegen leider sehr unspektakulär ausgefallen. Dumme Gegnerhorden, die sich bereitwillig von euch über den Haufen schießen lassen, laufen euch leider fast durchgehend über den Weg. Lediglich einige Zwischen- und Endgegner erfordern etwas mehr Taktik und bieten eine echte Herausforderung. Leider gibt es in Wolfenstein auch zahlreiche Frustmomente, da neben der schwachen KI besonders der unausgereifte Schwierigkeitsgrad negativ auffällt. Mal ärgert man sich über eine unfaire, zahlenmäßige Überlegenheit der Gegner, dann schießen einzelne Soldaten plötzlich wie wahre Meisterschützen, ohne dass ihr Deckung suchen oder den Gegner selbst unter Feuer nehmen könntet. Scheinbar haben die Entwickler auf das Motto „Masse statt Klasse“ gesetzt, um die Herausforderung des Spiels zu variieren.




Die Widerstandskämpfer stehen euch immer wieder zur SeiteTechnisch ist Wolfenstein leider ebenfalls nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Die gute, alte Doom 3-Engine wurde zwar stetig weiterentwickelt, nichtsdestotrotz sieht man ihr das Alter leider deutlich an. Besonders die langweilig grauen Texturen und die Detailarmut machen sich negativ bemerkbar. Der Sound hingegen ist über jede Kritik erhaben: Schon lange nicht mehr haben wir so intensive Waffengeräusche in einem Spiel gehört. Dazu vibriert das eventuell vorhandene Pad dermaßen kräftig, als wolle es dem Spieler aus der Hand springen. Deshalb spielt sich Wolfenstein wie ein Shooter der alten Schule: Schnell, laut, gewaltig. Durch die maue Präsentation und besonders durch das repetitive Gameplay fühlt sich der Titel dennoch ernüchternd abgestanden an. Retro ist eben nicht alles, und ein abgenutztes Gameplay lässt sich auch nicht durch aufgesetzt wirkende Spielelemente anderer Titel kompensieren. Ein Multiplayer-Modus ist ebenfalls vorhanden, jedoch taugt dieser höchstens als Pflicht-Beigabe: Wenn man es tatsächlich schafft, einer Online-Partei beizutreten, darf man sich mit unzähligen Lags und den altbekannten, abgenutzten Modi herumärgern. Ein Call of Duty: Modern Warfare zeigt hier, wo die Messlatte heutzutage liegt.

Fazit


Ein Spiel für Fans: So lässt sich Wolfenstein am besten beschreiben. Der Titel macht durchaus Spaß, fühlt sich über weite Strecken dennoch wie Arbeit an. Keine überraschenden Wendungen in der Story, keine innovativen Spielelemente, dazu der verzweifelt wirkende Versuch, das altbackene Gameplay mit einem Open World-Szenario zu übertünchen: Wolfenstein klammert sich so sehr an seine Wurzeln, dass es schmerzt. Für Nostalgiker und Kenner der Serie hält der Titel einige Anspielungen auf die Vorgänger bereit, die immer wieder für ein Schmunzeln sorgen. Trotzdem wird man das Gefühl nicht los, dass sich B.J. Blazkowicz dem Rentenalter nähert – oder zumindest eine radikalere Verjüngungskur nötig hat. Simon Weiß

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