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Kolumne: Anti?-Kriegsspiele

25. 09. 2009 | Kategorie: Artikel

Der Antikriegsfilm hat eine lange Tradition. Filme wie Im Westen nichts Neues, Full Metal Jacket, Platoon und Apocalypse Now sind zu unbestrittenen Klassikern der Kinogeschichte geworden. Doch auch neuere Filme wie Steven Spielbergs Der Soldat James Ryan, Terence Malicks Der Schmale Grat oder Sam Mendes’ Jarhead zeigen immer wieder, welcher Beliebtheit sich die kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Krieg im Medium des Films nach wie vor sowohl bei Filmemachern als auch beim Publikum erfreut. Fast alle dieser Filme waren und sind – zu Recht – sowohl an den Kinokassen, als auch auf dem DVD-Markt große Erfolge.

Auch im Bereich der Computer- und Videospiele ist der Themenkomplex Krieg seit jeher ein zentraler Topos – sei es in Gottspielen wie Populous oder Civilization, Echtzeitstrategiespielen wie Dune II oder StarCraft, oder im als „Kriegsspiel“ schlechthin verschrienen 3D-Shooter. Sogar im scheinbar so friedliebenden Die Sims kann die vom Spieler betreute Figur eine militärische Karriere einschlagen – Krieg ist im Computer- und Videospiel offenbar allgegenwärtig.

Der klassische Egoshooter stellt sicherlich eines der größten und heutzutage auch wichtigsten Genres dar. Wirtschaftlich ist es extrem erfolgreich, außerdem sind es immer wieder die 3D-Shooter, welche die Messlatte für die technische Komponente der Spiele, also Grafik, Sound etc. regelmäßig neu definieren – so war es zuletzt z.B. bei Titeln wie Crysis oder Far Cry 2 zu beobachten. Insbesondere Spiele, die als Schauplatz und Hintergrund den Zweiten Weltkrieg gewählt haben, gibt es mittlerweile wie Sand am Meer. Medal of Honor, Call of Duty, Resistance, die Liste der Titel und Serien könnte beinahe endlos fortgesetzt werden.

Screenshot: Far Cry 2Im Gegensatz zu dieser regelrechten Schwemme an Kriegsspielen - denn anders kann man das Phänomen schließlich kaum nennen, muss man Antikriegsspiele bisher leider noch mit der Lupe suchen. Dabei wären die Mittel doch denkbar einfach: Das Videospiel als Medium ist dem Film schließlich in vielerlei Hinsicht ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen. Ebenso wie ein Film kann ein Videospiel audiovisuelle Reize zeigen, Dialoge und Bildtexte darstellen, kann also auch als Ausdrucksmittel für komplexe Gedanken dienen – Metal Gear Solid 4 soll hier nur als ein Beispiel für Komplexität und cineastische Visualität in Spielen dienen. Kurz – das Videospiel besitzt alle Eigenschaften, die das Kino besitzt, darüber hinaus verfügt es jedoch auch noch über Möglichkeiten der Interaktion mit dem Spieler: Der Spieler kann den Spielverlauf selbst beeinflussen, in einigen Fällen (z.B. Fallout 3) sogar selbst bestimmen, soweit die Spielregeln ihm dies ermöglichen.

Es bleibt also die Frage, warum es reinrassige Antikriegsspiele bislang nicht gibt. Am Beispiel bekannter (Anti)Kriegsfilme haben wir gesehen, dass solche den Krieg zwar in all ihren physischen, sozialen und psychologischen Grausamkeiten zeigen, dabei aber trotzdem kommerziell erfolgreich sein können. Sie sind konzipiert, uns die Schrecken des Krieges in all ihrer Brutalität zu zeigen, bewusst zu machen, uns darüber reflektieren zu lassen. Sie wollen uns in einem gewissen Sinne erziehen. Filmklassiker wie Schindlers Liste machen per se natürlich keinen Spaß, im Gegenteil: Sie schlagen uns ganz schön schwer auf den Magen, vielleicht wird uns dabei sogar schlecht.

Screenshot: Modern WarfareAuch Horrorspiele wie Doom 3, die F.E.A.R.-Serie und dergleichen schaffen es regelmäßig, mich dazu zu bringen, das jeweilige Spiel beiseite zu legen. Solche Spiele machen mich körperlich dermaßen fertig, dass ich einfach nicht mehr weiterspielen kann oder möchte. Alles, was ich wollte, war doch nur ein bisschen Unterhaltung. Stattdessen bekomme ich totale Anspannung, Zittern und Schweißausbrüche geliefert. Ich gebe zu, ich bin eine ziemliche Lusche. Spaß sind solche Erfahrungen dennoch in keiner Weise – es sei denn, man gruselt sich gerne oder ist Masochist. Trotzdem wird deutlich, dass Spiele im Grunde in der Lage sind, drastische Gefühle wie Stress, Angst oder sogar Ekel in uns auszulösen. Merkwürdigerweise wird Antikriegsfilmen eine solche Eigenschaft – das Erzeugen von stark negativen Gefühlen – von vornherein zugestanden und nicht in Frage gestellt. Bei Spielen hingegen tun wir uns immer noch äußerst schwer damit – außer Horrorspielen sollen diese schließlich stets Spaß machen.

Aber warum ist es so, dass ein Medium wie das Kino je nach Genre alle mögliche Emotionen in uns auslösen darf, kann und soll, das möglicherweise sogar fortschrittlichere Medium Videospiel aber immer nur Spaß machen darf? Warum sind Spiele nicht ernsthaft, seriös oder nachdenklich? Da gibt es natürlich noch die sogenannten Serious Games, „ernsthafte Spiele“, diese sind jedoch zum größten Teil dazu gedacht, dem Spieler organisatorische Fähigkeiten beizubringen – Simulationen komplexer wirtschaftlicher Zusammenhänge sind z.B. ein beliebter Aufhänger. Um negative Emotionen oder sogar moralische Fragen geht es auch in Serious Games im Gegensatz zu Filmen leider nur in den seltensten Fällen.

Screenshot: Far Cry 2Beim Testen von Far Cry 2 fiel mir jedoch neulich etwas auf, das möglicherweise Anlass zur Hoffnung gibt. Man könnte beinahe meinen, der Ubisoft-Shooter zeige durch die vielen, schonungslosen Morde und die unmotivierte Story auf äußerst zynische Art und Weise die Sinnlosigkeit und das Elend eines solchen afrikanischen Bürgerkrieges. Lässt man sich auf das Spiel ein wenig ein, so hinterlässt das Töten in Far Cry 2 einen äußerst schalen, unbefriedigenden, ja beinahe ekelhaften Nachgeschmack. Direkter als durch das eigene Handeln bzw. Spielen kann man dem Rezipienten die Gräuel eines Krieges kaum nahebringen. Die Interaktivität des Videospiels ermöglicht es uns, die grausamen Vorgänge des Zerstörens und Tötens unmittelbar – natürlich an die Einschränkungen des Mediums gebunden – nachzuempfinden. Es ist nicht irgendein Schauspieler auf einer Leinwand, der so tut, als würde er einen feindlichen Soldaten erschießen. Der Feind stirbt durch unsere Hand und windet sich unter Todesqualen direkt vor unseren Augen. Wir haben uns entschiedenen, den Menschen zu erschießen und sehen nun die Konsequenzen unseres Handels auf dem Bildschirm.

Auch andere erfolgreiche Shooter der letzten Zeit beinhalteten ähnliche Elemente, die dem Spieler sauer aufstoßen konnten. Call of Duty: World at War z.B. stellt den zweiten Weltkrieg in bislang nicht da gewesenem Realismus dar – zum ersten Mal in der Geschichte der Call of Duty-Serie gibt es abgetrennte Gliedmaßen und in Agonie nach diesen greifende, schreiende Soldaten. Außerdem verwendet Call of Duty: World at War teilweise authentisches Videomaterial aus dem zweiten Weltkrieg. Zumindest auf dem Papier wurde also beim Entwickler eine Darstellung angestrebt, die einem Antikriegsfilm schon recht nahe kommt. Leider bleibt das Spiel im Kern ein äußerst traditionelles Action-Spiel und macht sich seine eigenen dokumentarischen Möglichkeiten nicht zu Nutze, beispielsweise um das Kriegsgeschehen kritisch zu kommentieren. Die realistisch dargestellten Kriegsschrecken wie verstümmelte Körper gehen im Eifer des Gefechts leider eher unter, als dass der Spieler überhaupt angeekelt wegschauen müsste. Der Coop-Modus, in dem mehrere Spieler gegen Horden von albernen Nazi-Zombies kämpfen, gräbt der vermeintlich ernsthaften Botschaft von Call of Duty: World at War schließlich vollends das Wasser ab.

Call of Duty: World at WarEtwas provokanter ging da schon Call of Duty 4: Modern Warfare vor. Einige Szenen der Singleplayer-Kampagne sorgten für viel Kritik in der Fachpresse. Gleich zu Beginn des Spiels musste man beobachten, wie die eigenen Kameraden des Spielers eiskalt schlafende russische Soldaten hinrichteten. Später war man an Bord eines AC-130H-Kampfflugzeuges und schoss mit übermächtigen Waffen auf kaum erkennbare, wehrlose Soldaten am Boden, während die übrige Besatzung des Fliegers bösartige und zynische Sprüche darüber klopfte. Der Höhepunkt des Spiels war aber sicherlich die Szene (Achtung: Spoiler!), in der man als amerikanischer Marine Paul Jackson zunächst nach einem Nuklearschlag mit einem Helikopter abstürzte und im Anschluss schwer verwundet aus dem brennenden Wrack kroch, nur um dann als Spieler durch Jacksons Augen ohnmächtig mit ansehen zu müssen, wie dieser in der Apokalypse nach der Atombombendetonation stirbt. Eine treffendere Bezeichnung als „Shock and Awe“ fällt mir hierzu nicht ein. Auch das Ende der Kampagne hatte eine äußerst demoralisierende Wirkung: So musste man beobachten, wie die väterliche Mentorfigur Captain Price, der einem während des Spiels wirklich ans Herz gewachsen war, direkt neben der Spielfigur starb, ohne dass man etwas dagegen tun konnte.

Es lässt sich also gerade bei aktuelleren Titeln wenigstens eine leichte Tendenz erkennen, die hoffen lässt, dass Spieleentwickler in Zukunft mutiger mit ernsten Themen wie Krieg umgehen könnten. Leider lässt sich diese Entwicklung bislang nur sporadisch und an absoluten Ausnahmewerken erkennen. Selten sind ernsthafte Spielkonzepte konsequent bis zum Ende durchdekliniert – die Spiele stehen sich bei der Vermittlung komplexer und wichtiger Themen häufig noch selbst im Weg.

Natürlich ist es auch wirtschaftlich-finanziell begründet, dass nur wenige Studios und Publisher den Versuch wagen, ein wirklich anspruchsvolles Spiel mit ernsthaften Themen zu entwickeln – ein kommerzieller Erfolg wäre wahrscheinlich fraglich, das Risiko einfach zu groß. Ein weiteres, großes Problem scheint mir jedoch nach wie vor zu sein, dass Computer- und Videospiele noch immer nicht als erwachsenes Medium wahrgenommen werden – oftmals auch nicht von ihren eigenen Herstellen. Auch wenn Spiele zunehmend von offizieller Seite als Kulturgüter anerkannt werden – die Botschaft scheint noch nicht einmal in der Branche selbst richtig angekommen zu sein. Felix Maliers

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