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Testbericht: Top Spin 4

13. 04. 2011 | Kategorie: Testberichte

Als Top Spin anno 2003 für die Xbox erschien, wurde nicht nur der neue König der Tennissimulation geboren, sondern auch der Grundstein für eine erfolgreiche Sportspiel-Reihe gelegt. Könige können jedoch ins Wanken geraten, doch der direkte Nachfolger bestätige noch einmal den Anspruch auf den virtuellen Tennisthron. Ein Nachfolger später ließ den Meister des anspruchsvollen Ballwechsels dann allerdings stürzen. Gute sieben Jahre nach Erscheinung des Originals macht sich nun Top Spin 4 auf, das Genre zurückzuerobern. Ein erfolgreiches Vorhaben?

Screenshot: Top Spin 4Für die einen ist es ein stupides Hin- und Herschlagen einer kleinen, gelben Filzkugel, für die anderen ein äußerst spannender und intensiver Sport, der seine Kontrahenten bis an die Grenzen bringt. Eines ist sicher: Der Tennissport gehört nach wie vor zu den beliebtesten Sportarten der Welt und ist international vertreten: Große Turniere werden quasi in allen Teilen der Erde ausgetragen. Dazu trägt nicht nur der an sich interessante Sport bei, sondern auch eine Vielzahl charismatischer Figuren: Da haben wir den kühlen, abgeklärten, oft auch ironischen Roger Federer, der Dominator der letzten Jahre, während sich auf der anderen Seite des Netzes der heißblütige, spielerisch aggressive und flinke Rafael Nadal, derzeitige Nummer 1 der Welt bei den Herren (Stand: 12.04.2011), ein ziemlich anderer Spielertyp also, befindet. Dies sind jedoch nur zwei der spielbaren Profis, die sich in Top Spin 4 die Ehre geben. Zur Auswahl stehen zudem Spieler, wie Novak Djokovic, diesjähriger Australian Open-Gewinner und für viele schon die kommende Nummer 1, Heißsporn Andy Murray, Serve-King Andy Roddick oder auch Legenden, wie Pete Sampras, Andre Agassi und Boris Becker. Natürlich sind auch weibliche Spieler mit von der Partie, deren Anzahl jedoch deutlich geringer ausfällt. Dabei sind u.a. die bullige Serena Williams oder die dagegen recht zierlich wirkende Caroline Wozniacki. Summa summarum ergibt sich ein Feld aus 18 männlichen und 7 weiblichen Tennis-Cracks.

Screenshot: Top Spin 4Kommen wir jedoch zum Herzstück des Ganzen, dem Gameplay: Während der Tiefpunkt Top Spin 3 extrem steif und steril wirkte, ist den Entwicklern von 2K Czech mit dem vierten Part die Auferstehung gelungen. Die Partien verlaufen dynamisch und flott, ohne jedoch jemals auf die Arcade-Bahn abzudriften. Lächerlich oft vorkommende Spezialmanöver, wie etwa der inflationär gebrauchte Hechtsprung in Sega´s ehemaligem Konkurrenten Virtua Tennis 3, sind eher eine Seltenheit und unterstreichen somit die realistische Note des Titels. Die Bedienung hält sich mit seinen vier Grundschlägen, den Flat-, Slice-, Lop- und Top Spin- Shots und einigen einfach zu merkenden Manövern, wie Drop Shots, in einem überschaubaren Rahmen auf. Einsteiger, wie Profis, sind jederzeit willkommen, doch bedeutet das Beherrschen der Steuerung nicht direkt ein erfolgreiches Abschneiden auf dem Court. Tennis will erlernt und Ballgewinne herausgearbeitet werden. Wichtig ist nicht nur das Timing eurer Schläge, sondern auch das Stellungsspiel. Drückt ihr eine Schlagtaste früh und haltet diese gedrückt, führt ihr bei optimalem Timing einen mächtigen Power Shot aus, während ein kurzes, perfekt getimtes Antippen der Taste mit einer präzisen Flugbahn belohnt.

Damit euch auf dem Platz nicht jedes Mal derselbe Spielverlauf auf einem der zahlreichen und real nachempfundenen Tennisplätze, wie der Rod Laver Arena in Melbourne oder das Arthur Ashe Stadium in New York, erwartet, passt sich die grundlegend clevere KI eurem Spiel bzw. dem Spielverlauf an. Kommt euer Kontrahent gut ins Spiel, kann es schnell passieren, dass er das Spiel dominiert und euch durchweg hervorragende Bälle um die Ohren haut, bei dem jeder einzelne sein Selbstbewusstsein nur noch steigert. Dann kann es zur echten Geduldsprobe werden, sein Gegenüber zu knacken. Lange Rallys, also Berührungen innerhalb eines Ballwechsels, sind so schnell möglich und vermitteln das Gefühl, ein intensives Spiel zu bestreiten. Seid ihr es jedoch, der den Gegner kontrolliert, versucht er, mit dem Rücken zur Wand, seinen Stil zu ändern, prescht etwa vor ans Netz und riskiert mehr, als sonst. Hierbei kommt auch die individuelle KI der real nachempfundenen Spieler zur Geltung, deren Spielstile sich rasch wiedererkennen lassen. Während US-Boy Andy Roddick mit seiner schieren Kraft und Aufschlagsstärke schnell eine Entscheidung herbeiführen will, nutzt Roger Federer seine überragende Genauigkeit vor allem seiner Vorhand zum genauen Platzieren der Bälle. Ein Nadal oder Djokovic dagegen zermürben ihre Gegner dagegen mit exzellentem Verteidigungsspiel und retten jeden noch so brillant geschlagenen Ball. Zudem verfügen die verschiedenen Plätze über Eigenarten: Auf rutschigem Ascheuntergrund, wie bei den French Open, kann ein Sprint schnell mal zu einem Rutscher eures Recken führen, der ein Positionswechsel natürlich deutlich verlangsamt und sich somit deutlich von Hartplatzturnieren unterscheidet. Durch diese Variablen, sprich: der leicht zu erlernenden, doch schwer beherrschbaren Steuerung und der abwechslungsreichen, dynamischen Spielbarkeit entsteht ein intensives, realistisches Spielgefühl, das alle, die auch nur entfernt etwas mit Tennis anfangen können, in ihren Bann ziehen dürfte. Zudem warten verschiedene Schwierigkeitsgrade, von sehr einfach bis sehr schwer, wobei das Spiel für Profis insgesamt einen Tick zu leicht ausfallen dürfte.

Screenshot: Top Spin 4Die Spielmodi bieten fast alles, was das Spielerherz begehrt. Neben schnellen Matches, wahlweise im Einzel oder Doppel und die nun auch endlich in Originallänge bestritten werden können, bietet der Titel auch eine Karriere, in der ihr mit einem eigens erstellten Charakter die Rangliste nach oben klettert, um irgendwann als Nummer 1 der neue Herr der Tenniswelt zu werden. Die Individualisierungsmöglichkeit sind umfangreich und die Karriere durch den Attribute-Aufbau eures Charakters anfangs motivierend. Zudem müsst ihr euch, logisch, zu Beginn in eher kleineren Turnieren einen Namen machen, bevor ihr euch für die großen, prestigeträchtigen Events qualifizieren könnt. Schön, dass ihr freie Wahl habt, in welche Richtung euer Spieler wandert: defensiver Grundlinienspieler vielleicht? Oder bevorzugt ihr lieber die aggressive Netzvariante? Wie wär´s denn noch mit einer Serve and Volley-Auslegung, um gleich zu Beginn den Konkurrenten unter Druck zu setzen? Je nachdem, wofür ihr euch entscheidet, werden Punkte in die verschiedenen Bereiche eurer Attribute investiert, darunter Vorhand, Rückhand, Serve und Geschwindigkeit. Entwickeln könnt ihr euch nur nach einem Levelaufstieg, den ihr durch das Sammeln von Punkten erhaltet, die ihr etwa nach Trainingsmatches und erfolgreicher Turniere bekommt. Das Levelmaximum beschränkt sich auf 20. Unterstützend zur Seite stehen euch Trainer, die ihr anheuern könnt und deren Fähigkeiten eurem Level entsprechen. Sie erteilen euch bestimmte Aufgaben, die es zu erfüllen gilt, um zusätzliche Punkteboni zu erhalten oder bieten einen passiven Bonus auf verschiedene Attribute. Insgesamt betrachtet wirkt die Karriere jedoch recht steril und fängt den glamourösen Tennis-Zirkus kaum ein, wenngleich die Atmosphäre auf dem Platz selbst gut eingefangen ist: Das Publikum fällt in euphorisches Geklatsche und Erstaunen, wenn ein schwieriger Ball gerettet wird oder feuert Spieler beim Rufen ihres Namens an, nur um vom Schiedsrichter mit einem lässigen ‚Quiet, please‘ zur Ruhe gebeten zu werden. Schade: Schiedsrichterentscheidungen können nicht angeprangert werden.

Der ‚King of the Court‘-Modus ist eine Partyvariante, in der ein Spieler durch das ‚Eliminieren‘ seines Kontrahenten diesen aus dem Turnier schmeißt und dadurch eine Runde weiterkommt. Am Ende gewinnt derjenige Spieler, der übrig ist und somit die meisten Matches zu verbuchen hat. Die Spiele beschränken sich dabei auf kurze Partien. Wer sich jedoch erst einmal mit den Grundlagen der Steuerung vertraut machen möchte, bekommt in der anschaulichen, gut erklärten Top Spin Academy die Gelegenheit.

Screenshot: Top Spin 4Tennisspiele drehen traditionell erst so richtig im Mehrspielermodus auf. Kein Wunder also, dass 2K an einen Online-Modus gedacht, der insgesamt jedoch eher enttäuschend ausfällt. Auch hier sind einzelne Partien, Einzel oder Doppel (hierbei jedoch nur, wenn ihr einen Spieler direkt an eurer Seite habt), möglich und sogar die Karriere kann online gespielt werden inklusive der Weiterentwicklung eures Charakter, der hierbei jedoch nicht als eigens erstellter, sondern in phänotypischer Form eines Prototypen auftaucht. Außerdem gibt es noch die ‚2K Open‘: Hier wählt ihr einen der realen Profis und erspielt euch Punkte. Diese werden einerseits euch und andererseits dem realen Tennisprofi zugeschrieben. Unterteilt ist dies in verschiedene Seasons, deren noch laufende Spielzeit im Online-Menü angezeigt wird. Leider gibt es ansonsten keine weiteren, spielerischen Funktionen: Warum sind keine umfangreichen Turniere möglich? Und Warum werden in den Rankings nur Siege, jedoch keine umfangreichen Statistiken angezeigt?

Technisch gibt sich der Titel keine großen Blöße. Die Animationen der Spieler, die ihren realen Vorbildern bis auf wenige Ausnahmen sehr ähnlich sehen, sind butterweich und die Kulisse punktet mit einer dynamischen Platz- bzw. Stadionatmosphäre. Wie so häufig in Sportspielen, enttäuscht das Erscheinungsbild des Publikums, das wenig detailliert und scheinbar aus der Klonmanufaktur daherkommt. Ansonsten sind die Plätze den echten Courts nachempfunden. Störend erscheint jedoch manchmal der Kontrast zwischen Ball- und Platzfarbe: Auf einigen Plätzen hebt sich die Kugel nicht stark genug vom Farbton des Platzes ab, was durchaus zu Problemen führen kann. Vor allem schnelle Bälle sind so manchmal (zu) spät auszumachen.

Fazit
Der König der virtuellen Tennissimulation erobert nach dem vorausgegangenen Sturz den Thron zurück. Top Spin 4 überzeugt mit einer Dynamik, die derzeit gänzlich alleine im Tennis-Genre steht. Die Ballwechsel verlaufen rasant, aber niemals auf der Arcade-Schiene. Dafür sorgen zum einen die Spielbarkeit mit all ihrer Tiefe und einer KI, die sich dem Spielverlauf entsprechend anpasst. Leider kann die Karriere auf Dauer nicht fesseln und auch der Onlinepart bleibt hinter seinen Erwartungen zurück. Technisch überzeugen vor allem die wunderbaren, individuellen Animationen sowie die Atmosphäre auf dem Platz. So bleibt ein spielerisch starkes Comeback, das den Grand Slam-Sieg durch Designpatzer kurz vor Schluss aus der Hand gibt.

Wertung: 8/10

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